Der Feuerstein
»Geben wir uns ein paar Tage, um uns umzuhören, bevor wir uns bei Treviño vorstellen.«
Ich nicke. »Wir brechen in zwei Tagen auf. Wie viel Duermakraut haben wir geerntet?«
Humberto grinst, sein Gesicht strahlt wieder, und ich merke, dass ich unwillkürlich zurücklächele. »Genug, um ein ganzes Heer zu vergiften«, sagt er.
»Wenn wir am Wüstenrand entlangwandern«, sagt Jacián, »dann müssten wir gar nicht auf Geheimhaltung achten. Dann könnten wir auch Kamele mitnehmen.«
Ich nicke mit aufgesetzter Begeisterung. Es ist der beste Plan, den wir haben. Aber einer neuerlichen, beschwerlichen Reise mit ungewissem Ausgang sehe ich mit schwerem Herzen entgegen.
Wir einigen uns auf eine kleine Reisegruppe. Für den Fall, dass etwas schiefgehen sollte, dass es wirklich eine Falle ist, wird der größte Teil der Malficio im Dorf bleiben und weitermachen. Nach langer Diskussion beschließen wir, zu zehnt aufzubrechen. Zweimal die Zahl göttlicher Vollendung.
Vater Alentín entscheidet sich dafür, ebenfalls hierzubleiben. »Ich fürchte, die Priester des Klosters zu Basajuan würden mich nicht gern wieder bei sich begrüßen«, sagt er.
»Warum?« Ich frage mehr aus Neugier als aus Enttäuschung über seinen Entschluss, denn es gibt niemanden, dem ich die Malficio in meiner Abwesenheit lieber anvertrauen würde.
»Wir hatten einige heftige Differenzen über die Auslegung der reinen Lehre. Vor allem hinsichtlich des Trägers. Sie interessiert vornehmlich der Feuerstein. Mich interessiert der Träger. Hätte man Euch dort in die Hände bekommen, dann hätte man Euch den Stein aus dem Nabel gerissen.«
Meine Augen werden schmal. »Ihr habt Angst, wieder dort hinzugehen, weil Ihr unterschiedlicher Auffassung über die reine Lehre wart?«
»Nun, es hat sie vermutlich auch gestört, dass ich mich mit der ältesten Abschrift des Afflatus davongemacht habe …«
Lachend klopfe ich ihm auf die Schulter. Als ich gerade wieder aus der Höhle treten will, um erste Freiwillige anzuwerben, stellt sich mir eine hochgewachsene, schlanke Gestalt in den Weg.
»Nimm mich mit«, sagt Mara mit weicher, aber beharrlicher Stimme. Ich hebe den Kopf, sehe die Rußflecken auf ihrer Wange, die noch immer leicht ausgefransten Haarbüschel, die dem Lederband in ihrem Nacken entkommen sind. Ihr Gesicht ist gut verheilt, obwohl die schimmernde Narbe einer viel älteren Verletzung das linke Augenlid leicht herunterdrückt, was ihr einen stets etwas traurigen Gesichtsausdruck verleiht. Wie immer hat sie ihren ganz eigenen Geruch, nach Knoblauch und gegrilltem Fleisch. Wahrscheinlich ist sie es leid, ständig für achtzig Leute zu kochen. »Ich wollte schon immer einmal eine große Stadt sehen«, fährt sie hastig fort. »Meine Familie, sie sind alle … nicht mehr da, weißt du, deswegen würde ich niemanden zurücklassen und …« Ihre Stimme schwankt, während ihre Augen sich bittend in meine senken.
»Wärst du bereit, für uns zu kochen?«
»Ja.«
»Wirst du uns jeden Abend auf der Reise Jerboa-Suppe machen?«
Sie rümpft die Nase. »Wenn es sich nicht vermeiden lässt, dann natürlich, aber lieber würde ich …«
»Bitte komm mit.«
Sie lächelt erleichtert, öffnet den Mund, um etwas zu sagen, dann schließt sie ihn schnell wieder und wendet sich ab. Ich sehe ihr traurig nach und hoffe, dass ich ihr wirklich einen Gefallen tue, indem ich sie mitnehme.
Dann höre ich laute Rufe. Eine verschwommene Bewegung lässt mich zur Öffnung der Höhle blicken. »Holt Elisa!« , schreit jemand. Schnell renne ich nach draußen und blinzle ins Tageslicht. Weiter unten am Hang, wo die Ziegelhäuser den Höhlen entgegenstreben, schleift eine Gruppe von Jungen eine verdreckte, zerlumpte Gestalt mit sich. Im Durcheinander erhobener Arme und wallender Gewänder kann ich fettiges Haar, ausgezehrte Finger und aufgeworfenes, verbranntes Fleisch erkennen.
Ich eile den abschüssigen Weg hinunter, und mein Herz klopft, ohne dass ich weiß, warum. Als ich näher komme, schnürt sich meine Kehle zu. Der Mann ist ausgemergelt, seine Knie sind aufgeschürft, weil ihn die Dorfbewohner grob über den Boden gezerrt haben. Sein zerrissenes Gewand ist verrutscht und offenbart kaum verheilte, wulstige Verbrennungen an der nackten Schulter. Sein Kopf kippt schlaff zu einer Seite, und unwillkürlich zucke ich zusammen, als ich die teigigen Flecken kahler Kopfhaut zwischen dem verfilzten Haar entdecke. Sein Kopf wippt kurz hoch, und ich blicke in
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