Der Finger Gottes
der in Not Geratenen dafür.«
»Haben Sie übrigens etwas von meiner Schwägerin und meiner Nichte gehört?«
»Leider nein, Herr Vandenberg. Ich habe mich umgehört, diskret, versteht sich, doch keiner will sie gesehen haben.«
»Schade. Ich kann nur hoffen, daß dies keine Nachteile für …
uns
. . . bedeutet. Wenn Sie also etwas hören sollten, lassen Sie es mich umgehend wissen. Gute Nacht.«
»Gute Nacht, Herr Vandenberg, und nochmals vielen Dank für Ihre großzügige Hilfe.«
Herzrasen, Stiche im Hinterkopf. Er kippte den Sherry in sich hinein, stand dann auf, nahm die Bourbonflasche, schenkte sich ein großes Glas voll ein und trank es in einem Zug leer. Die brennende Wärme breitete sich schnell in seinem Körper aus. Er mußte einmal husten. Der Herzschlag beruhigte sich. Die Schlußakkorde der Pastorale. Er stellte sich an den Kamin, schaute in das dunkle Loch. Er heizte ihn nur während der Wintermonate, wenn das Thermometer durchaus bis auf zwanzig Grad unter Null fallenkonnte. Bis auf die letzten fünf Jahre waren die Winter hier immer kalt und schneereich gewesen. Er nahm den Feuerhaken aus dem Messingständer, den Pickard ihm vor Jahren zu Weihnachten geschenkt hatte, und kratzte damit an der rußigen Kamininnenseite. Er tat dies eine Weile, stellte den Haken gedankenverloren zurück in den Ständer, starrte auf die van-Gogh-Kopie über dem Kamin. Er verschränkte die Hände hinter dem Rücken.
Er hatte Angst. Vor Entdeckung, vor Brackmann, vor den Leuten und ihrem Getratsche – und vor Gott. Er hatte auch Angst vor Schmerzen, sollte Jonas auf die absurde Idee kommen, ihm im Falle des Falles einen seiner Schlägertrupps vorbeizuschicken. Aber die Angst vor Gott hatte andere Dimensionen. Er glaubte an ein Leben nach dem Tod, er glaubte an ein Jüngstes Gericht, er glaubte an Verdammnis. Und die Angst davor war auf einmal größer als die vor Schmach, Ehrentzug, Schmerzen. Er wollte seinen Fehler wiedergutmachen, das Wie war es, das ihm Schwierigkeiten bereitete.
Einen Anfang hatte er gemacht. Er hätte Jonas Vandenberg verraten können, daß Brackmann über den Verbleib der Damen Bescheid wußte. Das Lügen und der Betrug mußten endlich ein Ende haben!
Höllerich! Dieser verdammte Höllerich hätte niemals herkommen, niemals die Ruhe dieser Stadt stören dürfen. Sechs Jahre lang war alles gutgegangen, hatte keiner Fragen gestellt, keiner sich nach dem Mann erkundigt. Wer hätte schon ahnen können, daß ausgerechnet Maria Olsen, diese treue Seele, von der Sache gewußt hatte?! Hätte er doch nur die Briefe weggeworfen! Doch wer hätte schon mit einem derart baldigen Ableben der Maria Olsen rechnen können?!
Er trank einen weiteren Bourbon und noch einen, bis die Flasche zur Hälfte geleert war, und mit jedem Glas schwandendie bedrückenden Gedanken. Er stand schwankend da, und vor dem letzten Schluck prostete er dem Bild zu, dann warf er das Glas mit aller Wucht in den Kamin, wo es in Tausende winziger Scherben zersplitterte. Er hielt die Hände vors Gesicht; er weinte.
Kapitel 37
Schmidt hielt einen Zettel hoch. »Hier, hab ich vorhin vergessen, Ihnen zu sagen. Jonas Vandenberg höchstpersönlich war hier und wollte mit Ihnen sprechen.«
Brackmann zuckte zusammen. »Was wollte er?«
»Weil Sie nicht da waren, hat er mich gefragt, ob ich was von seiner Nichte und seiner Schwägerin wüßte. Die sollen angeblich seit gestern nacht verschwunden sein. Die werte Familie macht sich anscheinend Sorgen«, sagte Schmidt abfällig.
»Und, was haben Sie gesagt?«
»Was hätte ich schon sagen sollen? Ich kenn die doch überhaupt nicht! Der Typ sollte vielleicht mal in München oder sonstwo suchen. Seit wann lassen die sich hier im Ort blicken?!«
»Jonas Vandenberg«, sagte Brackmann und fuhr sich mit der linken Hand übers Kinn. »Ich bin ihm noch nie begegnet. Ich kenne ihn nur von Fotos und aus dem Fernsehen.«
»Hab mich auch gewundert, warum er das selbst besorgt und nicht einen seiner Lakaien geschickt hat. Was soll’s, ist nicht mein Problem.«
»Und, hat er sonst noch was gesagt?«
»Er bittet Sie, morgen früh bei ihm vorbeizuschauen. Sie sollen aber vorher anrufen.«
Brackmann nahm den Zettel und steckte ihn in die Tasche. Eine Nacht noch und dann . . . Er seufzte auf. Es war einungerechtes und hartes Scheißspiel. Er hatte keine Chance. Sarah hatte recht, sie würden ihn in der Luft zerreißen, ihn den Kötern zum Fraß vorwerfen, oder ihn einfach verschwinden lassen, so wie
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