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Der Flächenbrand der Empörung - wie die Finanzkrise unsere Demokratien revolutioniert

Der Flächenbrand der Empörung - wie die Finanzkrise unsere Demokratien revolutioniert

Titel: Der Flächenbrand der Empörung - wie die Finanzkrise unsere Demokratien revolutioniert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Loretta Napoleoni
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Entwurf namens Magna Charta vor: In ihr fließen die »Leitlinien« zusammen, die im Verlauf der verschiedenen Volksversammlungen im ganzen Land formuliert wurden. Die Magna Charta wird gleich nach den nächsten Wahlen dem Parlament vorgelegt werden. Man begegnet der durch die repräsentative Demokratie verursachten Katastrophe beispielhaft mit direkter Demokratie.
    Dank der Umstrukturierung seiner Schulden ist Islands Regierung heute wieder handlungsfähig. Die Verschuldung des Landes, sie liegt zwischen 80 und 90 Prozent des BIP, entspricht mittlerweile mehr oder weniger europäischem Durchschnitt: deutlich weniger also als in Italien oder Griechenland! Wie konnte es Island gelingen, so schnell wieder auf die Beine zu kommen? Ganz einfach: Es brach aus dem starren Regelwerk des Internationalen Währungsfonds aus!
    Die isländische Regierung teilt die defizitären Banken in zwei Gruppen ein: Banken mit Vertretungen im Ausland, die ausländische Schulden angehäuft hatten, meldeten dort Insolvenz an und verhandelten über eine mögliche Umschuldung. Die Nationalbank hingegen wurde gerettet. Auf diese Weise konnte die Bevölkerung weiterhin auf die eigenen Ersparnisse zugreifen und Kredite aufnehmen, obwohl der Bankensektor um 80 Prozent schrumpfte. Die Binnenwirtschaft lief weiter rund, wenn auch im Vergleich zu den goldenen Jahren mit gedrosselter Geschwindigkeit.
    Die Regierung handelte mit ausländischen Gläubigern eine Umschuldung aus: Sie überschrieb die alten Schulden auf die neuen Banken, in die jedoch die ausländischen Gläubiger mit investiert hatten. Warum? Weil sie einen überzeugenden Entschuldungsplan vorlegte. Heute haben diese neuen Kreditinsti tute eine Eigenkapitalausstattung von über 16 Prozent, die zu 90 Prozent aus Spareinlagen stammt. Diese Banken stehen weitaus solider da als ihre irischen und griechischen Pendants.
    Island hatte das Glück, dass es sich nicht für die Rettung durch den IWF und die EU qualifizieren konnte und dass es nicht zur Euro-Zone gehörte. Durch die Abwertung der Währung wurde der Export gefördert. Da der Zusammenbruch seines Bankwesens keine Bedrohung für das restliche Europa darstellte, bekam das Land auch von keiner Großbank oder Institution ein Darlehen. Aus diesem Grund wiederum mischte sich niemand in Islands Finanzverwaltung ein. Zudem besaß die Regierung genügend Weitblick, um auf den Willen der Bevölkerung zu hören und sie in die Ausarbeitung der Rettungsmaßnahmen einzubeziehen. Klar, Island ist ein kleines Land: Es hat gerade mal 320.000 Einwohner, so viel wie eine europäische Stadt mittlerer Größe. Doch das Modell lässt sich auch auf größere Länder übertragen.
    Die spanischen Indignados kennen die Geschichte Islands. Nicht umsonst heißt es bei ihren Demonstrationen häufig: »Wenn wir groß sind, wollen wir Isländer werden!« Oder: »Spanien, erheb dich: Folge dem isländischen Beispiel.« Die Indignados haben sich die Protestbewegung von Hördur Torfason zum Vorbild genommen, deren stetige Samstagsdemonstrationen 2008 die Auflösung des Parlaments und Neuwahlen erzwangen.
    Ganz anders erging es da Irland, das 2008 ähnliche Probleme hatte wie Island. Die Regierung in Dublin bürgte damals für sämtliche Schulden der irischen Banken – eine Entscheidung, die das Geld der irischen Steuerzahler quasi der Pfändung unterwarf. Internationale Ratingagenturen, EU und IWF lobten das Land für diese Maßnahme, weil sie im Endeffekt den Euro schützte. Doch die Kehrseite der Medaille ist: Deutsche und Holländer, die sich mit Irland eine Währung teilen, werden wohl kaum widerstandslos die irischen Staatsschulden übernehmen, wenn das Land eingesteht, dass die 2011 erhaltenen Hilfen nicht ausreichen. Dann wird Irland dasselbe Schicksal erleiden wie Griechenland und Portugal. Dieser Ansicht war auch die Ratingagentur Moody’s, die Mitte Juni 2011 irische Staatsanleihen als Junkbonds bewertete.
    Im Juni 2012 erreichte die Arbeitslosenquote mit 14,8 Prozent den Höchststand seit Ausbruch der Finanzkrise. Während die irische Bevölkerung eine Schuldenlast schultert, die sie niemals tilgen kann, haben sich die Isländer von der ihren befreit, indem sie ganz einfach offen zugaben, was ohnehin jeder wusste: Wir sind pleite. Warum aber gibt man seit 2008 Pleiten als Liquiditätskrise aus? Warum behandelt man ein strukturelles Problem wie ein konjunkturelles? Weil niemand einen Status quo verändern will, der zwar nicht mehr haltbar ist, doch den

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