Der Flächenbrand der Empörung - wie die Finanzkrise unsere Demokratien revolutioniert
Algerien und Tunesien also gar nicht so groß?
In trauter Profitgier vereint
Wie wir gezeigt haben, ist der Unterschied zwischen den Mittelmeerstaaten Europas und denen Nordafrikas trotz ihrer unterschiedlichen Regierungsformen vielfach tatsächlich gar nicht so groß. Ganz sicher haben wir Italiener mehr mit ihnen gemein als mit den nördlichen Ländern der EU. Die Arbeitslosigkeit ist im Süden dreimal so hoch wie in Nordeuropa: In Holland und Deutschland liegt die Jugendarbeitslosigkeit unter 10 Prozent. Die einzigen Ausnahmen bilden das Vereinigte Königreich mit 18,5 Prozent und das defizitäre Irland. In Italien betrug die Jugendarbeitslosigkeit Anfang 2011 29 Prozent, in Griechenland 39,6 Prozent und in Spanien über 40 Prozent. Mehr als ein Viertel der jungen Italiener haben also keine Arbeit, und nur knappe 46 Prozent der Frauen sind in den Arbeitsmarkt integriert, das ist der niedrigste Prozentsatz in ganz Europa.
Auch mit anderen Kennzahlen verhält es sich an den beiden Ufern des Mittelmeers ähnlich, zum Beispiel, was die Transparenz der Wirtschaft angeht. Die arabischen Diktaturen benutzen die Korruption im In- und Ausland als Mittel, den Reichtum in den Händen einiger weniger zu konzentrieren. Derselbe Mechanismus führt dazu, dass die griechische Bevölkerung nicht von ihrem eigenen Bruttoinlandsprodukt profitiert, weil das Geld in den Taschen einiger weniger Privilegierter verschwindet. Die Brookings Institution, ein US-amerikanischer Think Tank, schätzt, dass der griechischen Staatskasse durch Korruption und Schmiergelder über 20 Milliarden Euro entgingen, also 8 Prozent des BIP – eine Summe, die den Ausbruch der Euro-Krise vielleicht hätte verhindern können. Den traurigen Rekord in Sachen Korruption hält jedoch Italien: Transparency International hat es in die Hitliste jener 21 Staaten aufgenommen, in denen weltweit die meisten Amtspersonen von Unternehmen bestochen werden.
In Italien ist die Schattenwirtschaft so verbreitet, dass sie dem Land die nötige Liquidität verschafft, um es vor dem Untergang zu bewahren. Die Frage ist also: Wie kann ein Land überleben, dessen Wachstumsrate seit Jahren bei null liegt und das die dritthöchste Staatsverschuldung auf der Welt aufweist?
Um darauf eine Antwort zu finden, müssen wir noch einmal nach Kampanien, die Region, in der das Pro-Kopf-Einkommen zu den niedrigsten in ganz Italien gehört. Neapel ist die größte Stadt der Region und weist die höchste Bevölkerungsdichte Italiens (und eine der höchsten der Welt) auf. Eine Region, in der das Steueraufkommen höher ist, als es dem Bruttosozialprodukt zufolge sein dürfte. Wie ist das möglich? Ganz einfach: durch Geldwäsche.
Kampanien ist Italiens »Geldwaschmaschine« und dazu eine der effizientesten Europas. Durch eine Reihe von Skandalen und Beschlagnahme der Vermögenswerte von Mitgliedern der Camorra kam man dahinter, welch raffinierte Recyclingtechniken dort entwickelt wurden. (Und dabei geht es nicht um Mülltrennung oder Abfallverwertung …) Zahllose Pizzerien, Restaurants und Cafés stellten falsche Belege aus und wiesen dadurch mehr Umsatz aus, als sie eigentlich gemacht hatten. Statt der tatsächlichen dreißig Abendessen deklarierte man einfach hundert. So schleuste man das Schwarzgeld in den Steuerkreislauf ein. Statt Steuern zu hinterziehen, was in Italien auch häufig vorkommt, versteuert man mehr, als man eingenommen hat. Nach demselben Prinzip funktionieren auch die Geschäfte, die gefälschte Markenartikel verkaufen. Dort wird eine Tasche, die nur fünf Euro wert ist, für angeblich 150 Euro verkauft. Diese Summe, »die sich gewaschen hat«, taucht dann in der Bilanz des Händlers auf, und schon ist illegal verdientes Geld legal.
Einerseits bringt die Geldwäsche also flüssige Mittel in Umlauf, die nicht durch legales Wirtschaften entstanden sind. Andererseits bläht sie das Steueraufkommen der Region auf, in der das organisierte Verbrechen seine Profite wäscht. Italien lebt heute mehr denn je von der Wirtschaftskriminalität. Nicht etwa der Staat, sondern ausgerechnet das organisierte Verbrechen rettet die Italiener absurderweise vor der Pleite!
Die Abhängigkeit von Nordeuropa
Sowohl die arabischen als auch die südeuropäischen Volkswirtschaften stehen in einem Abhängigkeitsverhältnis zu den finanzkräftigen Ländern des Nordens – eine weitere Gemeinsamkeit. Dies zeigt das Beispiel Griechenlands. Athen ist der größte Importeur konventioneller Waffen auf
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