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Der Flächenbrand der Empörung - wie die Finanzkrise unsere Demokratien revolutioniert

Der Flächenbrand der Empörung - wie die Finanzkrise unsere Demokratien revolutioniert

Titel: Der Flächenbrand der Empörung - wie die Finanzkrise unsere Demokratien revolutioniert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Loretta Napoleoni
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Ausgabenkürzungen also, die angesichts der kolossalen Staatsverschuldung des Landes wirkungslos verpuffen. Für diejenigen aber, die mit ihrem Gehalt ohnehin schon kaum bis zum Monatsende durchhalten, fallen sie stark ins Gewicht – zu stark!

12 Der Internationale Armutsfonds
    Im Juli 2011 werden erstmals Befürchtungen laut, Italien könnte als erstes größeres Land in der EU das Schicksal Griechenlands ereilen. Diese Spekulationen kommen für die meisten Menschen überraschend, aber die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Italien muss in den nächsten fünf Jahren eine Staatsverschuldung von 900 Milliarden Euro refinanzieren. Da seine Wirtschaft seit zehn Jahren kein Wachstum aufweist, hält man dies allgemein für ein unmögliches Unterfangen, vor allem an den Märkten. Aus diesem Grund steigt der Spread zu deutschen Staatsanleihen, das heißt der Unterschied zwischen den Zinssätzen, zu denen Italien bzw. Deutschland seine Staatsanleihen platzieren kann, stetig an. Der Spread zu den Bonds des Krisenstaats Spanien sinkt dagegen. Der höchste Zinssatz, den diese Staaten bewältigen können, liegt alles in allem bei etwa 7 Prozent. Keiner der Defizitstaaten kann über dieses Limit hinausgehen. Mitte Juli 2011 bezahlte Italien schon fast 6 Prozent Zinsen auf seine Staatsanleihen, Anfang August war dann auch diese Grenze überschritten. Der Zinssatz für italienische Staatsanleihen kletterte auf den höchsten Wert seit neun Jahren. Langfristig aber kann das Land sich derart hohe Zinsen einfach nicht leisten.
    Mitte Juli kommt es zu Spannungen zwischen Wirtschaftsminister Giulio Tremonti und Ministerpräsident Silvio Berlusconi, die die Situation weiter erschweren. Es geht dabei um die Sparmaßnahmen, die der Wirtschaftsminister vorschlägt, um die Staatsverschuldung zu verringern. Es handelt sich um ein Sparpaket von zunächst 40, dann 80 Milliarden Euro, das bis 2012 das Budgetdefizit ausgleichen soll. Die Idee, dem Volk »Blut und Tränen« abzuverlangen, gefällt dem Populisten Berlusconi nicht. Diese Spannungen genügten, um das Vertrauen der Märkte in das Land weiter zu erschüttern.
    Als die Krise ausbricht, lacht ganz Europa über die politische Führungsschicht in Italien. Ist das ein Wunder, wenn ihre Mitglieder sich in einem Moment höchster Gefahr von persönlichen Zu- und Abneigungen leiten lassen? Das Land selbst weist zwar im Vergleich zu Spanien (9,2 Prozent) ein geradezu lächerliches Haushaltsdefizit von 4,6 Prozent auf und muss auch seine Banken nicht retten, doch das »Nullwachstum« dauert schon viel zu lange an. Und dies, wo Italien eine Staatsverschuldung von 120 Prozent des BIP aufweist – nach Griechenland die zweithöchste in Europa. Italien hat also ein chronisches Problem.
    Kein Sparprogramm wird die Gesamtverschuldung in kurzer Zeit auf unter 100 Prozent des BIP drücken können. Die Ratingagentur Moody’s schätzte, dass das Land 2011 würde 10 Prozent der Staatseinnahmen allein für Zinszahlungen aufwenden müssen. In Spanien waren es nur 6 Prozent. Italien aber sollte in der zweiten Jahreshälfte 2011 ganze 50 Prozent seiner Kreditfälligkeiten begleichen, also 222 Milliarden Euro. Da standen die Spanier mit ihren 40 Milliarden besser da. Diese Zahlen mögen genügen, um anschaulich zu machen, dass die Mitte August beschlossenen Kürzungen in Höhe von 45 Milliarden nichts bringen konnten. Auf jeden Fall wird es für das Land immer schwieriger, seine Staatsanleihen zu platzieren. Der Unsicherheiten sind viele: die Frage, ob der Griechenland-Rettungsschirm letztlich Erfolg haben wird, die immer wahrscheinlicher werdende Krise Portugals, Zypern, das wohl ebenfalls bald Hilfe in Brüssel suchen muss, und die Herabstufung der Kreditwürdigkeit Frankreichs. Ohne Zweifel ist Italien von der Schuldenkrise massiv betroffen.
    Die EU muss eine äußerst gefährliche Entscheidung treffen: Entweder sie versucht, die kriselnden Ökonomien zu retten, und riskiert dabei das Scheitern des Euro. Oder sie wirft die Flinte ins Korn und krempelt die Ärmel hoch, um sich durch eine kontrollierte Staatsinsolvenz all dieser Volkswirtschaften neu zu organisieren. Natürlich hat sie sich für Ersteres entschieden, ohne die zweite Option überhaupt in Betracht zu ziehen. Doch niemand kann sich in der heutigen Welt erlauben, praktische Probleme auf ideologische Weise anzugehen. Mit dieser Frage hätte man sich schon vor Monaten beschäftigen müssen: Im Grunde wäre dies Sache des Währungsfonds

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