Der Flammenengel
sondern irgendwo in der Ferne zu schweben.«
»Und?« fragte ich. »War dem so?«
Ich dachte dabei an einen ähnlichen Fall, der schon einige Zeit zurücklag, als man mich während des Schlafes entführt hatte. Da war der Eiserne Engel gekommen und hatte mich in die Schlucht der stummen Götter geschafft. Das war damals kein Traum gewesen, sondern Realität. [2] .
Auch bei Sheila? Ich räusperte mich und hakte noch einmal nach.
»Kannst du dich nicht erinnern, ob es ein Traum oder Realität gewesen ist?«
»Es ist schwer.«
»Du hast dich nicht mit ihm unterhalten?« forschte Suko.
»Nein, das auf keinen Fall. Ich konnte ja nicht sprechen, war wie gelähmt und erlebte alles so deutlich…« Sie schüttelte den Kopf. »Jedenfalls redete er von einer großen Gefahr, die auf uns zukommen würde.«
Da Sheila nicht weitersprach, stellte ich meine Frage. »Welche Gefahr meinte er? Hat er sie konkretisiert?«
»Flammen…« Sie nickte heftig. »Ja, er redete von Flammen und davon, dass sie alles vernichten würden. Er war sehr aufgeregt, gleichzeitig deprimiert, weil er sich so isoliert fühlte.«
»Von wem?«
»Von seinen Freunden, von den anderen Engeln, glaube ich«, flüsterte Sheila. »Er stand allein, und er redete auch von einem gezielten Angriff der Hölle. Uriel ist der Engel des Feuers, und die Hölle hat sich das zunutze gemacht.«
»Welche Hölle oder wer?«
»Vielleicht Luzifer. Ich hörte etwas von der großen Auseinandersetzung zwischen ihm und dem Erzengel Michael. Damals hat Luzifer verloren! Die Unterwelt aber schwor Rache, weil sie nichts, aber auch gar nichts vergessen hat. Und sie hat sich einen Plan zurechtgelegt. Deshalb sprach Uriel davon, isoliert zu sein.«
»Also abgekoppelt von den anderen!« präzisierte ich. »So ist es. Auf irgendeine Art und Weise muss es der Fürst der Finsternis geschafft haben, an Uriel heranzukommen und ihn vielleicht sogar auf seine Seite zu ziehen, aber das weiß ich nicht genau. Er sagte mir, ich sollte auf Brände achten. Das habe ich getan. Dann sprach er noch von dämonischen Feuerleichen, die ich suchen und, wenn möglich, verfolgen solle, weil sie zum Ziel führen.«
»Zu welchem Ziel?«
Sheila hob die Schultern. »Davon hat er nicht gesprochen. Es muss irgendein Ziel geben. Es liegt auf dieser Welt, aber wo genau, das ist nicht festzustellen.«
»Okay«, sagte ich, »so weit, so gut. Ist dir noch etwas aufgefallen, hat man dir vielleicht noch etwas mitgeteilt?«
»Nein, ich sah ihn nur in der Ferne, und zwischen uns baute sich wieder die Brücke auf. So hatten wir Verbindung. Dann aber… ich meine…«
Sheila stockte, denn die Erinnerung überkam sie wieder wie ein Sturmwind. »Dann sah ich plötzlich dieses Gesicht, das sich aus der Tiefe hervorschob. Es war so groß wie eine ganze Welt. So voller Kälte und Hochmut, so anders lächelnd, wie ich es nie zuvor sah. Nicht einmal damals in der Hölle, und es besaß eine graublaue, fast glänzende Farbe, wenn ihr versteht, was ich meine.«
Wir nickten, und Suko gab die Antwort. »ja, ich verstehe schon. Es war Luzifer!«
»Das musste wohl so sein.«
»Was geschah noch?« fragte ich.
»Nichts mehr«, gab Sheila flüsternd zurück. »Es geschah überhaupt nichts. Uriel verschwand, er wurde immer kleiner und schien regelrecht einzufrieren, während sich auch das Gesicht wieder zurückzog. Danach wurde ich wach.«
Wir blieben still sitzen. Diese Erzählung mussten wir erst einmal verdauen. Suko räusperte sich nach einer Weile. »Hast du ihr folgen können, John?«
»Das habe ich.«
»Dann weißt du auch, dass Uriel einen verdammt einsamen Kampf gegen einen übermächtigen Feind ficht.«
»Und wir müssen ihm beistehen«, murmelte ich. »Wobei ich mich frage, wie das ohne Kreuz möglich sein soll. Man hat es mir genommen. Diesmal nicht Lilith oder Luzifer, sondern Uriel. Da komme ich einfach nicht mit.« Ich schlug mir gegen die Stirn.
Suko blieb da gelassener. »Du reagierst einfach zu gefühlsbetont, John. Denke mal logisch nach. Dein Kreuz ist dir nicht ohne Grund genommen worden. Und auch der Buchstabe U verschwand nicht einfach so. Das hatte alles seinen Sinn.«
»Ja, weil Uriel die Seite gewechselt hat.«
»So könnte man es sehen.«
»Nein, Suko, so muss man es sehen. Der Buchstabe verschwand, weil Uriel nicht mehr zu den vier Hauptengeln gehört. Sheila hat etwas von einer Isolation gesagt. Wenn du darüber nachdenkst, passt einfach alles zusammen. Liliths Angriff auf mein Kreuz.
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