Der fliegende Brasilianer - Roman
und in seinem lärmenden motorisierten Fahrzeug davongefahren.
In der Werkstatt der alten Ballonfahrer herrscht Totenwachenstimmung. Lachambre, der Sentimentalere, verfasst im Geiste den Brief, mit dem er den Familienangehörigen des jungen Brasilianers das Unglück mitteilen muss. Machuron, der Praktischere, rechnet sich aus, wie viele Jahre sie nun allein für die Entschädigung würden arbeiten müssen, die sie der Familie des Verschwundenen zu zahlen verpflichtet sein würden.
Und Alberto erscheint ruhig und lächelnd in der Werkstatt.
Lachambre, der Sentimentale, will den Unseligen am liebsten umbringen.
Machuron, der Praktische, schließt den unvorsichtigen jungen Mann gerührt in die Arme.
In den folgenden Wochen sorgt Machurons praktischer Sinn dafür, dass Alberto nicht einmal in die Nähe des Ballons kommt. Aber der sentimentale Lachambre verwirft sämtliche Argumente, die sein Kompagnon zu bedenken gibt.
Alberto fliegt weiter.
Inzwischen ist er in der Werkstatt so zu Hause, dass er den Ballon nehmen kann, ohne Bescheid zu sagen. So wie an einem sonnigen Sonntag, für den er die Freunde aus dem Parc des Princes zu einem Rundflug eingeladen hat. Zwei junge Männer und ein Mädchen haben zugesagt, die anderen haben mit den fadenscheinigsten Ausreden dankend abgelehnt.
Sie bringen den Ballon nach Vaugirard und nehmen reichlich Champagner und Proviant mit. Ihre Angst verstecken sie hinter einer Euphorie, die keinen Menschen täuschen kann und schon gar nicht den erfahrenen Ballonfahrer, der Petitsantôs inzwischen geworden ist.
Das Mädchen ist die Geliebte eines Stahlmagnaten.
Die beiden jungen Männer sind Besitzer von motorisierten Dreirädern und werden eines Tages ein Vermögen erben. Der ältere der beiden, mit wohlgestutztem Schnurrbart und tuberkulösem Blick, ist ein Abkömmling italienischer Fürsten.
Der tuberkulöse Fürst kommt mit einem starken Fernglas, um damit die Leute in ihrer Privatsphäre zu überraschen. Der Bürgerliche, stark wie ein Stier, bringt einen Fotoapparat mit, um den Ausflug im Bild festzuhalten. Das Mädchen hat sich auf eine Cotte-de-maille-Tasche beschränkt und ein Dekolleté, das tiefe Einblicke gewährt.
Während des Fluges, der in schönster Harmonie begonnen hat, richtet der Fürst hartnäckig das Fernglas auf das Dekolleté des Mädchens, während der Fotograf die Schambekundungen des Mädchens, das sich mit einem Batisttuch bedeckt, im Bild festhält.
Aber dann läuft irgendetwas nicht so, wie es sollte.
Wir verlieren an Auftrieb, brummelt Petitsantôs.
Die Spielchen hören auf, und der muskulöse Fotograf erkundigt sich, was das bedeutet.
Das bedeutet, dass wir alles abwerfen müssen, teilt Petitsantôs mit.
Alles?, ruft das Mädchen, und es schaudert sie, aber nicht vor Euphorie.
Ganz richtig, bestätigt Petitsantôs irritierend entschlussfreudig, denn er wirft bereits den ersten Proviantkorb über Bord.
Wir sterben!, schreit das Mädchen, und ihr Dekolleté hält kaum dem Beben seines Inhaltes stand.
Angesichts ihres Zitterns bemüht Petitsantôs sich, das Mädchen zu beruhigen.
Nein, natürlich sterben wir nicht, sagt er und schluckt trocken, denn der Ballon pendelt dicht über den Dächern und bewegt sich auf den Zoo von Vincennes zu. Und dann tut er etwas Unerhörtes. Petitsantôs beginnt, sich zu entkleiden.
Los, schnell, wir müssen alle überflüssigen Sachen rauswerfen. Und er schleudert seine Stiefeletten mit Plateausohle fort. Sie landen auf Bettlaken, die in einem Garten auf der Bleiche liegen. Auf die Stiefeletten folgen der Fotoapparat, die Päckchen mit Glasplatten, das Fernglas und die Champagnerflaschen. Anschließend, allerdings nicht ohne eine gewissen Gezwungenheit aufgrund der Schwierigkeit von sechs nervösen Händen, die Mademoiselles Korsett aufbinden, flattern Kleidungsstücke über die Felder von Vincennes.
Der Zoo ist wie immer am Sonntagvormittag voll von stoischen Familienvätern mit ihren energiegeladenen Sprösslingen. Der sich nähernde Ballon bleibt nicht unbemerkt, und die Erwachsenen sammeln ihre Kinder ein, um sich mit ihnen in Sicherheit zu begeben. Danach zu urteilen, wie der Ballon naht, scheint dieses Mistding nicht gerade nur Pirouetten vorzuführen.
Und die Eltern haben recht, denn der Korb schlägt auf den Felsen auf, wo ein paar Braunbären schlafen. Die Bären, völlig desinteressiert, verändern nicht einmal ihre Stellung, als eine Frau schreiend aus dem Korb zu steigen versucht und von den
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