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Der fliegende Brasilianer - Roman

Der fliegende Brasilianer - Roman

Titel: Der fliegende Brasilianer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edition Diá <Berlin>
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ergreift Bleistift und einen Block Papier und macht sich ans Berechnen. Der junge Mann sieht die alten Ballonfahrer mit irritierendem Selbstbewusstsein an.
    Sie sind verrückt, schreit Machuron und zerbricht den Bleistift. Das ist doch unmöglich, ein Ballon mit einer so leichten Hülle und nur 100 Kubikmeter!
    Lachambre schnappt ein paar Sekunden lang nach Luft.
    Der junge Mann reagiert auf Machurons Aufschrei mit einem flehentlichen Blick.
    Der Ballon ist für mich, stöhnt er in seinem für einen Einheimischen zu perfekten Französisch. Ich wiege 50 Kilo. 100 Kilo Kubikinhalt ist genau richtig.
    Lachambre schlägt sich an den Kopf und reckt die Hände gen Himmel: Selbstmord! Das ist Selbstmord! Wenn Sie Ihrem eigenen Leben ein Ende machen wollen, ist das Ihr Problem. Aber ziehen Sie uns da nicht mit rein.
    Jetzt beißt Machuron in den Papierblock.
    100 Kilo Kubikinhalt, ja? Nur weil Sie 50 Kilo wiegen? Warum dann nicht 50 Kilo Inhalt? Einen Kubikmeter, wie wär’s damit?
    Missfallen breitet sich wie ein Schatten auf dem Gesicht des jungen Mannes aus. Sein flehentlicher Ausdruck verschwindet, und stattdessen überkommt ihn eine Wut, wie sie die alten Ballonfahrer von dem sonst immer schüchternen und bedächtig sprechenden jungen Mann nicht kennen.
    Idioten, faucht er. Primitivlinge, wettert der junge Mann.
    Und er zieht seine Handschuhe an, reißt Machuron die Zeichnungen aus der Hand, sodass sie zerknittern, und macht Anstalten zu gehen.
    Lachambre, dem Sentimentalen, ist es lieber, dass er verschwindet.
    Machuron, der praktischer denkt, hält ihn zurück.
    Warten Sie, Monsieur Santôs!
    Dieser Miniaturballon wird nie im Leben aufsteigen, denkt er. Es gibt keinen Grund, warum wir diesen Auftrag an die Konkurrenz verlieren sollten.
    Der junge Mann macht kehrt, nun wieder mit seinem gewohnten gutmütigen Ausdruck.
    Ich werde ihn »Brasilien« nennen, teilt er mit.
    Die alten Ballonfahrer verkneifen sich das Lachen und nicken ernst.
    Tatsächlich erfolgreich  Und das Schlimmste ist, dass »Le Brésil« wider jeden gesunden Menschenverstand und die Erfahrung zweier alter Ballonfahrer tatsächlich aufsteigt.
    In der Wochenzeitschrift »L’Illustration« erscheint eine Karikatur, die den Flug des »kleinsten Ballons der Welt« feiert. Die Karikatur ist mit Sem unterzeichnet.
    Diese elegant gestrichelte Karikatur, das weiß Alberto, bedeutet einen noch größeren Triumph als sein Flug.
    Endlich wird Paris auf ihn aufmerksam.
    Der Hexer macht weiter  Das Dreirad fährt mit 32 Stundenkilometern und wirbelt eine Staubwolke auf der Erdstraße im Bois de Boulogne auf. Es ist Sonntag und kalt, bald wird der erste Schnee fallen. Ein eisiger Wind beißt auf der Haut und vertreibt die wenigen Besucher. Alberto in dickem Mantel und Mütze aus Marderfell, die Augen mit einer Brille und die Hände mit Lederhandschuhen geschützt, macht die Kälte nichts aus. Er fährt über die fast menschenleeren Alleen und hört den trockenen Kies gegen sein Fahrzeug schlagen. Er fährt eine feste Route, immer im Kreis, von der Südseite des Waldes bis zu einer Lichtung im Westen, wo sein Butler François in der Kutsche, die ebenfalls ihm gehört, neben dem Kutscher sitzt und auf ihn wartet. Winkend rast er mit seiner beängstigenden Geschwindigkeit an seinen Dienstboten vorbei und taucht winkend wieder auf.
    François und der Kutscher wissen, dass er bis zur Erschöpfung fahren wird, und das bedeutet, dass sie, heimlich Kognak trinkend, mindestens drei Stunden dort sitzen werden. Und sie sind gerade erst angekommen.
    Sie kennen ihren neuen Herrn noch kaum, denn sie stehen erst knapp zwei Monate in seinen Diensten. Aber eines haben sie schon begriffen: Wenn es in Paris einen Exzentrikerwettbewerb gäbe, dann würde dieser südamerikanische Knirps mit Leichtigkeit den ersten Platz gewinnen. Mal abgesehen von diesen verrückten Sonntagsrennfahrten, bei denen sie die Warterei in der feuchten Kälte ertragen müssen, sind seine anderen Extravaganzen recht gutartig. Der Knirps empfängt wenig Gäste, ist im Essen genügsam und gewährt ihnen ein überdurchschnittliches Gehalt sowie einen freien Tag in der Woche, ein Zeichen, dass er tatsächlich in England studiert hat, wo man, wie es heißt, die Rechte der Arbeiter respektiert.
    An diesem Morgen aber ist es reichlich unangenehm, die eisige Kälte zu ertragen. Nicht einmal der Kognak scheint zu helfen, und so empfinden sie beträchtliche Erleichterung, als ihr Herr nach der dritten Runde sein

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