Der Fliegenfaenger
führte mich nach vorn in eine Bank. Es war aber nicht die Bank, in der meine Mam saß; ich und Mr. Wilson saßen hinter ihr, bei ein paar Freunden meiner Oma, von den Progressiven Pensionären.
Meine Mam drehte sich um und wies auf den leeren Platz neben sich. Aber Mr. Wilson beugte sich vor und flüsterte: »Bei mir ist er besser aufgehoben, Shelagh, außen an der Bank. Dann stört es keinen, falls ich mal mit ihm raus muss.«
Meine Mam starrte ihn eine Sekunde an. Dann nickte sie langsam und drehte sich wieder nach vorn. Ich wollte bei ihr sein. Ich wollte neben meiner Mam sitzen. Deshalb sagte ich zu Mr. Wilson: »Schon gut, ich muss bestimmt nicht raus. Ich will vorn sitzen. Ich will bei meiner Mam sitzen.«
Ich stand auf. Aber da packte er meinen Arm und hielt mich eisern fest.
»Nein, nein, nein, nein, nein«, sagte er lächelnd. »Komm, Raymond, setz dich wieder hin.« Er zog mich auf die Bank. »Du bleibst jetzt hier sitzen, dann ist alles in Ordnung.«
Und da sah ich es, eingebrannt in seine Stirn, das Wort »Mutant«. Hätte ich doch meine Medikamente genommen! Die Mutanten kehrten zurück. Es passierten wieder komische Sachen mit mir. Ich geriet in Panik. Und deshalb hielt ich es für besser, alles zu tun, was er sagte, und setzte mich wieder hin.
Und alles war in Ordnung, weil er jetzt wieder Mr. Wilson war. »So ist’s recht«, sagte er, »brav, mein Junge.«
Ich saß also neben ihm und hoffte inständig, dass alles gut gehen würde. Dass ich nicht wieder aus dem Gleichgewicht geriet. Im Hintergrund hörte ich leise Orgelmusik und versuchte, mich drauf zu konzentrieren.
Aber es passierte doch wieder was! Denn plötzlich sah ich, wie Tante Fay tröstend den Arm um meine Mam legte, als ob sie es gut mit ihr meinte. Und ich wusste doch, dass sie es gar nicht gut mit ihr meinte. So wie sie es auch mit meiner Oma nie gut gemeint hatte! Wahrscheinlich ärgerte mich das. Ich konnte nicht anders; es rutschte mir einfach so raus.
»Ihr habt es verscheuert!«, hörte ich mich plötzlich sagen. »Du und mein Drecksonkel Jason, ihr habt das Haus meiner Oma verscheuert!«
In unserer Kirchenbank drehten sich ein paar Progressive Pensionäre her und starrten mich an. Mr. Wilson lächelte und nickte ihnen zu, während er mir zuflüsterte: »Raymond, du bist hier nicht in der Klinik! Das hier ist eine Kirche. Du kannst hier nicht einfach so mit irgendwelchen Bemerkungen rausplatzen wie in der Klinik!«
Ich entschuldigte mich bei ihm.
Aber dann sah ich, dass meine Mam mich immer noch anstarrte.
Und die Tückische Tante Fay sagte: »Einfach ignorieren, Shelagh. Du musst heute schon genug ertragen, du Ärmste. Achte einfach nicht auf ihn, und überlass das Ted; der kennt sich aus.«
Dann legte sie wieder den Arm um meine Mam, als wolle sie sie trösten. Und ich versuchte ganz still zu sein. Ich versuchte, still dazusitzen und brav zu sein, aber es rutschte mir einfach raus: »Doch, Mam, es stimmt!«, sagte ich. »Die haben Oma nach Stalybridge geschafft und dann ihr Haus verkauft, da war sie noch nicht mal tot!«
»Sei still!«, zischte Mr. Wilson und funkelte mich böse an. »Raymond, beruhige dich!«
Dann schlug er mein Gesangbuch auf und befahl: »So, da schaust du jetzt rein … dieses Lied singen wir in ein paar Minuten. Los, schau jetzt da rein!«
Aber ich schaute meine Mam an. Sie weinte. Und da wusste ich, dass ich sie traurig gemacht hatte. Ich hätte meine Tabletten nehmen sollen. Bestimmt war meine Mam jetzt traurig, weil sie sah, dass die Paranoia zurückkam.
Deshalb sagte ich: »Bitte entschuldige, Mam. Das wollt ich nicht sagen, Mam. Das wollt ich nicht sagen, wollt ich nicht sagen!«
Aber meine Mam sah mich nicht mehr an. Und anscheinend wollte sie auch nicht getröstet werden; denn als Tante Fay es versuchte, schüttelte meine Mam ihren Arm einfach ab und Tante Fay sah verblüfft und beleidigt aus.
Ich starrte ins Gesangbuch. Und als die Orgelmusik dröhnend anschwoll, stand ich wie alle andern auf. Wär ich doch nur nicht so dumm gewesen, meine Tabletten in den Ausguss zu spülen! Tante Fay stand vor mir, mit ihren zwei kleinen Kretins; alle schluchzten, als der Sarg reingetragen wurde, alle tupften sich mit dem Taschentuch die Augen und taten, als ob sie traurig seien, obwohl sich keiner von ihnen jemals was aus meiner Oma gemacht hatte. Ich spürte, wie ich sie hasste! Wie ich sie alle hasste.
Aber ich wusste, dass ich nichts sagen durfte, weil jetzt die Paranoia zurückkehrte. Ich
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