Der Fliegenfaenger
seiner Eltern, ihm ein Kostüm zu schneidern und ein Make-up für ihn zu entwerfen. Aber bis zur ersten Aufführung war alles streng geheim.
Samantha Hardcastle hatte keine Chance.
Von Kopf bis Fuß in Samtgewänder gehüllt, die Federboa des Hausmädchens um die Schultern, mit einer goldenen Krone auf dem Kopf und langen falschen Wimpern trat Twinky McDevitt auf die Bühne – wie eine Kreuzung aus Shirley Bassey und dem Papst. Selbst die Eltern, die beim Krippenspiel sonst ja nur auf ihre eigenen Kinder achteten, gaben zu, dass sie den Blick nicht von Twinky McDevitt wenden konnten. Alle fotografierten – bis auf Samantha Hardcastles Mutter, die vor Wut kochte, als sie sah, wie Twinky McDevitt ihre Tochter in den Schatten stellte. Twinky McDevitt stahl allen andern schamlos die Schau und stolzierte wie ein Pfau auf der Bühne umher.
Twinky begnügte sich keineswegs mit den einstudierten Schritten und Gesten, sondern machte noch allerlei Zugaben. Und als er dem Jesuskind das Gold dargebracht hatte, streckte Twinky der Jungfrau Maria hoheitsvoll die Hand hin und erwartete offenbar, dass sie sich zum Handkuss niederkniete. Doch Samantha Hardcastle dachte nicht dran; sie blieb trotzig auf ihrem Strohballen sitzen und schob schmollend die Unterlippe vor.
Also tätschelte Twinky der Jungfrau Maria den Kopf und meinte, das Baby sei ein bisschen spitz im Gesicht, ob es denn nicht genug Milch kriege?
Da war Samantha Hardcastles Mutter der Kragen geplatzt! Sie sprang auf, stürmte wütend aus dem Saal und wollte sofort den Schulleiter sprechen. Sie schlug fürchterlich Krach. Sie sagte zu Mr. Kerney, das sei nicht in Ordnung, das gehöre sich nicht, und es sei doch wirklich allgemein bekannt, dass das Jesuskind an Weihnachten von den Heiligen Drei Königen besucht worden sei und nicht von zwei Königen und einer kleinen Schwuchtel in zusammengenähten Vorhängen.
Mr. Kerney erklärte ruhig, Mrs. Hardcastle wisse vielleicht die progressive Inszenierung nicht recht zu würdigen; er selbst, Mr. Kerney, habe es äußerst kühn und erfrischend gefunden, wie etwa die Frage der geschlechtlichen Ambiguität behandelt worden sei, die in unserer heutigen Gesellschaft doch eine so wichtige Rolle spiele. Aber die Mutter der Jungfrau Maria sagte zu Mr. Kerney, er könne sie am Arsch lecken, und dann fügte sie hinzu, sie und ihr Mann hätten Samantha niemals auf diese Schule geschickt, wenn ihnen klar gewesen wäre, was für eine beschissene Schule das sei, eine Schule, in der bizarre Krippenspiele aufgeführt würden und die Kinder mehr über chinesische Imbissbuden lernten als über Mathematik und Geografie und die Schlacht von Waterloo. Und dann sagte sie noch, jetzt habe sie die Nase voll, dieses Krippenspiel habe das Fass zum Überlaufen gebracht und sie würde ihre Samantha sofort, auf der Stelle von der Schule nehmen und in einer privaten Lehranstalt anmelden, ungeachtet der finanziellen Opfer, die das für sie bedeute.
Und so kam es, dass sich Twinkys Traum erfüllte, einmal die Jungfrau Maria zu spielen.
Manche Lehrer standen der Sache anfangs etwas skeptisch gegenüber. Und als Mr. Kerney am nächsten Tag auf die Bühne trat und verkündete, dass in der heutigen Aufführung Twinky McDevitt die Jungfrau Maria spielen werde, hörte man allgemeines Gemurmel und die Eltern, die Mitglieder des Schulvorstands und ihre Gäste runzelten die Stirn und zogen die Augenbrauen hoch. Mrs. Bradwick erhob sich von ihrem reservierten Platz in der ersten Reihe, weil sie sofort den Schulleiter sprechen wollte. Aber da wurde schon das Licht gedimmt, die Scheinwerfer flammten auf, und Mrs. Bradwick musste sich wieder setzen. Die Kinder hielten ihre Stanniolsterne hoch, ich und die andern Erstklässler stimmten leise »Zu Bethlehem geboren …« an – und auf dem Esel saß eine so wundervolle, so ernste Jungfrau Maria, dass das Publikum den Atem anhielt und gebannt miterlebte, wie Twinky McDevitt, in einem schlichten Kleid und wollenem Schal, eine Aura spiritueller Ruhe und rätselhafter Weiblichkeit schuf. Selbst Norman Gorman, der den Zimmermann Josef spielte, schien von der fragilen Schönheit seiner Partnerin fasziniert, und als er sie vom Esel heben und zum Stall tragen musste, tat er dies mit einer Anmut und Eleganz, wie man sie noch nie zuvor an ihm beobachtet hatte. Schützend hielt er Twinky in seinen starken Armen, als sei er Rhett Butler in Vom Winde verweht und trage Scarlet O’Hara. Dieselbe inspirierende Wirkung schien
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