Der Fliegenfaenger
ansah, lachte Spanswick und arbeitete weiter.
Dann sah der Lehrer mich an. »Na gut!«, sagte er. »Lassen wir das. Aber wenn du morgen zu spät kommst, gibt’s Ärger. Okay, wie heißt du?«
Und da meldete sich Spanswick erneut zu Wort und rief: »Moby Dick!« Alle brachen in Gelächter aus und diesmal lachte der Lehrer lauthals mit.
Und es wurde nicht besser. Ich machte gar nicht erst den Versuch, mit irgendwem Freundschaft zu schließen, weil ich sie alle hasste – Spanswick und Tucknott und Mustapha Golightly. Sie behaupteten, ich hätte Titten! Ich hatte aber keine Titten! Ich war nur ein bisschen dick, sonst nichts. Aber sie sagten, ich hätte oben mehr vorzuweisen als Irene Broadbent. Und dann sagten sie, ich sei schwul. Ich sei HIV-infiziert. Und wenn sie neben mir sitzen mussten oder im Sport im gleichen Team wie ich aufgestellt wurden, beschwerten sie sich so laut, dass es einen Anschiss vom Lehrer gab und sie gezwungen wurden, neben mir zu sitzen oder mich in ihr Team zu lassen. Und deshalb hassten sie mich nur noch mehr. Und ich hasste sie. Und eines Tages, als ich allein auf dem Schulhof stand, kamen Spanswick und Tucknott und Mustapha Golightly steil auf mich zu. Erst standen sie nur da und glotzten. Dann sagte Golightly: »Hey, Moby Dick! Du hast mal in Failsworth gewohnt, stimmt’s?«
Ich sah ihn nur an. Dann sagte ich: »Na und?«
Jetzt warf er den andern einen Blick zu und meinte: »Ich hab’s euch ja gesagt!« Dann wandte er sich wieder mir zu und sagte: »Ein Cousin von mir wohnt in Failsworth.«
Ich zuckte die Achseln. War mir doch egal, wo sein blöder Cousin wohnte. Aber auf einmal drohte er: »Ich mach dich kalt, Marks!«
Da wollte ich weglaufen, aber Spanswick stieß mich zurück und sagte: »Bleib, wo du bist, du fette Sau!«
Und Tucknott fügte hinzu: »Perverses Schwein!«
Und da wusste ich, dass das nicht eine ihrer üblichen hirnlosen Beleidigungen war. Ich schaute mich nach dem Lehrer um, der Pausenaufsicht hatte, sah aber überall nur Kinder. Plötzlich stach mir Golightly brutal mit dem Finger in den Bauch, zeigte mir dann ins Gesicht und sagte: »Mein Cousin hat mir alles über dich erzählt, Moby Dick! Auch was du der armen Kleinen angetan hast!«
Ich schüttelte den Kopf und sagte: »Dein Cousin ist offenbar genauso bescheuert wie du; ich hab niemand was angetan!«
»Du verdammter Lügner!«, sagte Tucknott.
Und Golightly packte mich vorn am T-Shirt und sagte: »Nenn mich nie mehr bescheuert, du perverses Schwein!«
Und dann schleuderte er mich so brutal gegen die Wand, dass mir fast die Luft wegblieb. Aber gleichzeitig riss sich irgendwas in mir los! Ich spürte es richtig, wie sich der Laut in mir formte und aus meinem Bauch nach oben drang, vermischt mit Wut und Zorn. Und als ich den Mund öffnete und der Schrei rauskam wie der Schrei eines waidwunden Tiers, klang es so schrecklich, dass ich selber Angst bekam. Aber sie kriegten auch Angst. Golightly ließ mich los, wich zurück, und jetzt starrten mich alle an, mit Augen groß wie Untertassen, und ich stand vor ihnen und brüllte! Ich brüllte sie an, ich klagte sie an – sie und ihren Spott, ihre Dummheit, ihre primitive Grausamkeit. Und während sie mich anstarrten, verunsichert durch diesen Ausbruch von Wahnsinn, den sie entfesselt hatten, hörte ich mich schreien: »Seht mich an! SEHT MICH AN! Ihr denkt wohl, ich bin einfach nur Raymond Marks, ja? Nur Raymond, den ihr auslachen und verspotten und wie den letzten Dreck behandeln könnt? Aber ich rate euch, wenn ihr euch je wieder mit mir anlegt, denkt dran: Ich bin nicht nur Raymond Marks!«
Sie starrten mich immer noch an, als wüssten sie nicht, was sie tun sollten. Und jetzt hätte ich weglaufen sollen, ohne ein weiteres Wort. Es war wirklich dumm von mir; ich weiß nicht mal, warum ich es eigentlich gesagt habe. Aber als sie mich alle so unsicher und erschrocken anstarrten, fuhr es mir plötzlich heraus: »In Zukunft solltet ihr euch lieber in Acht nehmen! Ich bin nämlich … der Falsche Junge!«
Tucknott lachte als Erster, dann fielen die andern mit ein. Und ich lief weg. Aber sie rannten mir nach, brüllten vor Gelächter und riefen immer wieder: »Der Falsche Junge! Der Falsche Junge!« Und dann sagte Golightly: »Der hält sich wohl für Clark Kent …« Und jetzt lachten sie noch hysterischer, verfolgten mich immer weiter und riefen: »Zeig uns doch mal deinen Falschen Jungen, Raymond!«
Ich weiß, ich hätte es nicht sagen sollen. Aber es war
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