Der Flirt
vielen Jahren sah Hughie seine Mutter erröten. Doch ihr Gesicht wurde nicht nur rot, sondern dunkelviolett. Nervös fingerte sie an dem ausgefransten Riemen ihrer Handtasche herum.
»Hughie … woher … woher kennst du diesen Mann?«, fuhr sie in anklagendem Tonfall auf.
»Wir arbeiten zusammen. Henry ist mein, na ja, so was Ähnliches wie mein Abteilungsleiter.«
»Du bist Hughies Mutter!«, wiederholte Henry.
»Du wusstest«, sagte sie leise, »von den Kindern.«
»Ich wusste von dem Mädchen.«
»Kennt ihr euch etwa?«, fragte Hughie.
Sie wandten sich ihm beide mit verzweifelter Miene zu.
»Ist das ein Ja?«, hakte er nach.
Es war ein unangenehmer Augenblick.
Und ein langer obendrein.
»Ja, nun, wie dem auch sei! Wie wäre es mit einem Glas Champagner?«, fragte Percy und gab Deirdre einen Schubs, damit sie sich in Bewegung setzte.
Rowena nahm ein Glas und kippte es in einem Schluck hinunter. Ihre Hände zitterten.
Gewisse Aspekte von Percys romantischer Intrige liefen eindeutig nicht so wie geplant. Doch er ließ sich nicht beirren. »Ja, wie ich schon sagte, ich bin Percival Bryce, und ob Sie es glauben oder nicht, Rowena, ich erinnere mich noch an Sie aus der Zeit, als Sie mit dem Fahrrad zu Tiffany’s auf der anderen Straßenseite zur Arbeit kamen!«
»Rowena!«, wiederholte Henry in herzergreifendem Tonfall.
Sie sah ihn mit schrecklich traurigen Augen an. »Ja.«
»Ja, Rowena!«, mischte Percival sich ein und schob sie zu einem Stuhl vor seinem Tisch. »Sie sind wirklich gekommen. Vermutlich möchten Sie die Diamantohrringe sehen. Wenn ich mich recht erinnere, hatten Sie immer einen ausgezeichneten Geschmack, den Ihr Sohn anscheinend von Ihnen geerbt hat!«
Er holte das schwarze Samttuch heraus. Die herzförmigen Diamantohrringe funkelten und glitzerten.
Hughie seufzte. Sie waren genauso perfekt wie in seiner Erinnerung.
Rowena Venables-Smythe saß vor den Diamanten. Doch ihr Blick war leer. Die Formen und Farben verschwammen, verschmolzen miteinander und trennten sich wieder, als sie die Tränen wegblinzelte. Die schreckliche Anspannung, die sie zusammengehalten und dafür gesorgt hatte, dass sie tapfer auf dem Meer des Lebens dahinsegelte, löste sich plötzlich auf. Sie versank zusehends − vor ihrer aller Augen.
»Henry«, flüsterte sie und streckte eine zarte Hand aus.
Henry griff danach und sank, ziemlich dramatisch, auf die Knie. »Mein Schatz!« Er drückte ihre Finger an seine Lippen. »Mein liebster, liebster Schatz!«
Das war ein Schock.
Hughie war verdutzt, Percy war entsetzt. Deirdre amüsierte sich.
»Rowena! Wie viele Jahre habe ich darauf gewartet, deinen Namen zu erfahren! Ich wäre nie darauf gekommen, dass er so schön ist!«
Und da dämmerte Hughie allmählich, dass es nur eine Frau gab, für deren Name sich Henry interessierte.
»Gütiger Himmel, Henry! Du hast mit meiner Mutter rumgemacht!«
»Was?«, kreischte Percy in einer Tonhöhe, die nicht viele erwachsene Männer erreichten.
»Hughie!«, maßregelte seine Mutter ihn.
Doch Hughie befand sich jenseits von Gut und Böse. Eine unheilige Wut hatte sich seiner bemächtigt. Er packte Henry am Kragen und zog ihn hoch.
»Ich dachte, du wärst mein Freund! Und die ganze Zeit hast du mich getäuscht!«
Der Verrat schmerzte mehr, als er es je für möglich gehalten hätte. In Wahrheit hatte Henry ihm sehr viel bedeutet.
Und aus diesem Grund schlug Hughie besonders fest zu.
»Oh, mein Gott!«, kreischte Percy Bryce. »Faustschläge bei Graff! Das geht einfach nicht! Hören Sie sofort auf!« Er drückte einen Summer.
Henry leistete keinen Widerstand und rollte den Wachmännern, die in das Ladenlokal stürmten, wie ein geschickt mit dem Absatz gespielter Rugbyball vor die Füße.
»Hör auf, Hughie!«, schrie seine Mutter. »Hör sofort auf! Ich erlaube nicht, dass du deinen Vater schlägst!«
Alle hielten mit weit offenem Mund inne.
»Meinen … meinen … meinen Vater?«
Selbst Henry wirkte überrascht. Er setzte sich auf, rieb sich das Kinn und starrte die beiden ungläubig an.
Rowena richtete sich trotzig auf. Jahrelange Schuldgefühle und Sorgen fielen von ihr ab, als sie jetzt das Wort ergriff. »Ja, Hughie, deinen Vater. Henry und ich sind uns an einem schicksalhaften Sommertag in der Wäscheabteilung von Peter Jones begegnet.« Sie warf Henry einen bewundernden Blick zu. »Unsere Liebe schlug ein wie ein Blitz: unmittelbar und unkontrollierbar. Obwohl wir uns alle Mühe gaben, es zu
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