Der Flirt
eines Experten einzuholen?«
Der Experte bin doch wohl ich, dachte Olivia.
Dann setzte die unvermeidliche Unterströmung der Schuldgefühle ein. Sie vergeudete die Zeit dieser Leute. Mimsy wollte es. Und überhaupt, was wusste sie schon über Frisuren?
Alle starrten sie an. Sie warteten.
Rolo schaute auf seine Uhr.
Der vormittägliche Schwung verebbte und wurde von einer dicken, betäubenden Schicht Hoffnungslosigkeit abgelöst.
»Nun, ich nehme an …«
Da klingelte ihr Telefon.
Es war Simon, der wissen wollte, wo genau sie das Knole-Sofa hinstellen sollten.
Olivia entschuldigte sich und nahm unter den vernichtenden Blicken von Mimsy und Rolo den Anruf entgegen. Mitten im Gespräch kam ihr eine Idee.
»Es tut mir schrecklich leid«, plapperte sie, als sie aufgelegt hatte. »Eine Krise in der Galerie!« Sie zog die Chanel-Jacke aus und gab sie Mimsy zurück. »Ich fürchte, ich muss sofort los. Da ist nichts zu machen.«
Rolo sah sie säuerlich an. »Da wird aber eine Stornogebühr für meinen Termin fällig.«
»Selbstverständlich!«
»Aber … aber welche Galerie?«, stammelte Mimsy. »Du kannst doch nicht einfach von einem Friseurtermin abhauen! Wir sind dabei, dein Leben zu verändern!«
»Sie brauchen mich«, sagte Olivia einfach. »Aber warum übernimmst du nicht meinen Termin? Du hast es verdient.« Sie schob Mimsy auf den Stuhl. »Ich kann kaum erwarten, zu sehen, wie es aussieht!«
In Rolo, der ahnte, dass er es hier mit einer sehr viel lukrativeren Kundin zu tun hatte, kam plötzlich Leben. Er zupfte hier an ein paar Strähnen und warf dort ein paar Haare hoch. Mimsy ließ sich von der Autorität seiner Stimme und ihrem wunderbaren Spiegelbild einlullen. (Rolo hatte in unglaubliche rosagetönte Beleuchtung investiert, die seine Kundinnen um Jahre jünger machte.)
»Ich ruf dich später an!«
Olivia spurtete zur Tür.
Noch vor einer Woche war dieser Friseurtermin der Höhepunkt des Monats gewesen, der Kern ihres Schlachtplans, um Arnauds Zuneigung zurückzugewinnen. Und doch eilte sie jetzt äußerlich unverändert durch die herrlich schmut - zigen Straßen von Soho und war dankbar, entkommen zu sein.
Die Galerie rief. Sie musste sich um das Sofa kümmern, an
der Gästeliste waren letzte Korrekturen vorzunehmen, und ihr ganz persönlicher Protegé, Red Moriarty, musste angeleitet und promotet werden. Das Mädchen war bemerkenswert, sie und Simon waren gespannt darauf, was sie als Nächstes machen würde. Sie hatten in der Ausstellung schon einen Platz dafür reserviert.
Am besten war, dass der Funke der Aufregung wieder da war, ungetrübt. Aus einem Impuls heraus ging Olivia in einen Modeladen, um ein Paar stahlblaue Netzstrümpfe zu kaufen (die Farbe war unglaublich, selbst wenn sie sie nie tragen konnte), und in die Patisserie Valerie, um sich ein frisches Croissant zu besorgen. Sie ließ sich Zeit und spazierte durch diesen belebenden, fremden, eher finsteren Teil von London, bevor sie nach Mayfair zurückkehrte.
Ein weiteres Moriarty-Original
Rose stand vor Moriarty’s Secondhand-Möbelladen in der Kilburn Lane und wartete auf ihren Vater. Er war zu spät dran. Er war sein ganzes Leben lang zu spät gekommen. Mick Moriarty war in ganz London für zwei Dinge berühmt: für sein Talent, alles aufzutreiben, was man suchte, und dafür, dass er nie pünktlich war. Und er vertat sich eher schon mal um Tage als um Minuten. Da Rose dies wusste, hatte sie ihn am Vormittag zweimal angerufen. Trotzdem war Mick jetzt nirgendwo zu sehen; der Laden war geschlossen und sein Handy rätselhafterweise nicht eingeschaltet. Zum Glück war Rory unterwegs hierher im Kinderwagen eingeschlafen. Sie schob den Wagen sanft vor und zurück. Wenigstens war Rory nicht wach, kreischte und zappelte, weil er rauswollte.
Ihr Vater hatte gesagt, er hätte etwas für sie, und Rose brachte es nicht über sich, ihn zu enttäuschen. Es war wirklich süß, wie er diverse Möbelstücke für sie zur Seite stellte. Doch sie hatte nicht den ganzen Tag Zeit, herumzutrödeln; sie sollte sich am Nachmittag mit Olivia und Simon in der Galerie treffen − ein Termin, vor dem ihr wahrlich graute.
Sie schaute noch einmal auf ihre Uhr. Jetzt würde sie ebenfalls zu spät kommen.
Ihr Vater machte einfach immer, was er wollte. Er war ein guter Vater, solange man ihn nicht tatsächlich für irgendetwas brauchte. Es hatte eine Zeit gegeben, als sie noch klein gewesen war, da war er anders gewesen. Fast normal.
Mick Moriarty hatte
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