Der Flirt
umzudisponieren. Bevor sie es merkte, war der halbe Vormittag vorbei. Ihre beste − und einzige − Freundin, Mimsy Hollingford, würde wütend auf sie sein.
Mimsy wartete in der Factory, dem heißesten, neuesten Schönheitssalon in Soho, auf Olivia. Eigentlich war es nahezu unmöglich, bei dem neuen Besitzer, Rolo Greeze, einen Termin zu bekommen, doch Mimsy hatte schon vor Monaten für Olivia einen als Geburtstagsgeschenk verabredet.
»Jetzt, wo du vierzig bist«, riet sie ihr, »solltest du dir einen neuen Stil zulegen. Und Rolo ist der exklusivste Friseur der Welt. Er hat Kundinnen in Rom, Paris, New York und fliegt einmal im Monat dorthin. Habe ich dir erzählt, dass er Gordon Ramsay die Haarwurzeln nachfärbt?«
»Aber ich mag meinen Stil.«
»Ja, natürlich. Aber ehrlich« - Mimsy warf ihr einen gewissen Blick zu, der unmissverständlich signalisierte, dass sie
nicht beeindruckt war -, »lass uns ganz sachlich bleiben. Die Probleme mit Arnaud; typisch. Das ist eine Midlife-Crisis. Nichts, wobei ein guter Haarschnitt nicht Wunder bewirken kann.«
Olivia mochte sie nicht fragen, wessen Midlife-Crisis. Doch inzwischen war sie an Mimsys Methoden gewöhnt. Wenn es nach ihr ging, gab es im Leben kein Problem, das nicht mit reiner Willenskraft und einer Platin-Kreditkarte zu lösen war. Sie war fünfundfünfzig, hatte vier Ehemänner, unzählige Affären und zahlreiche chirurgische Eingriffe überlebt, und sie nahm Menschen gern an der Hand. Sie hatten sich vor elf Jahren bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung kennengelernt, als Olivia gerade nach London gezogen war. Mimsy hatte sie beeindruckt, energisch und chic und selbstsicher, wie sie war, mit ihrem ausgemergelten Körper und ihren starken, katzenhaften Zügen. Olivia hatte sich zu Mimsys neuem Projekt machen lassen, ohne recht zu realisieren, dass Mimsy immer wieder nachbessern wollte.
»Vierzig ist ein Meilenstein«, fuhr sie fort. »Du musst alles überdenken. Zeit, einen Termin beim Chirurgen zu machen und eine Vollzeit-Pilates-Trainerin sowie eine makrobiotische Köchin zu engagieren. Und, sehen wir den Tatsachen ins Auge, im Schlafzimmer musst du arbeiten, arbeiten, arbeiten! Hängenlassen kannst du dich, wenn du mal sechzig Jahre alt bist, aber das ist jetzt die kritische Phase. Mit vierzig geben die meisten Frauen allmählich auf, obwohl sie in Wirklichkeit einen Gang zulegen sollten. Von wegen sich zurücklehnen und an England denken! Von jetzt an steht regelmäßig oraler Sex auf der Speisekarte; und wenn du nicht weißt, wie man einen bläst, solltest du es schleunigst lernen. Um die Wahrheit zu sagen« - sie beugte sich vor -, »ersparst du dir damit sehr viel Zeit. Fünfzehn Minuten, und du kannst dich wieder vor den Fernseher setzen. Oh, und
mach einen Termin bei Bordello. Ich habe ein Dutzend Teile von ihr − die sind jeden Penny wert. Arnaud sollte dich niemals in Dessous sehen, die nicht sexy oder wunderbar sind. Gott weiß, sobald du sie ausziehst, wird er all seine Phantasie brauchen, also hilf ihm ein wenig auf die Sprünge!«
Das Taxi tauchte in das schmale Labyrinth der Einbahnstraßen von Soho. Vor dem Fenster blinkten die rosafarbenen Neonschilder von Sex-Shops, Tür an Tür mit schicken Patisserien, Austernbars und Kaffeehäusern. Ein Regenbogen aus Netzstrümpfen in den wildesten Farben an nackten Schaufensterpuppen schmückte das Fenster eines Fashion-Outlets gegenüber vom Prince Edward Theatre, wo Mary Poppins gespielt wurde. Filmproduktionsfirmen, Werbeagenturen, Sushi-Bars, chinesische Kräuterhändler; Fahrradkuriere schlängelten sich übers Pflaster und terrorisierten Trupps desorientierter Touristen; ein Wohnungsloser kampierte mit seinem Hund vor dem Ivy und spielte Musicalmelodien auf einer Mundharmonika … hier brodelte das Leben, roh, unkontrolliert, pulsierend. Olivia saugte die ungewohnte, grelle Atmosphäre in sich auf.
Mimsy hatte das Herz am rechten Fleck, ermahnte sie sich, und betrachtete eine junge Frau mit rasiertem Kopf, die die Fenster eines Lokals putzte, das sich Pussy Cat Club nannte. Die Ehe war für sie ein Vollzeitjob, ein nie endendes Schachspiel mit Häusern, Ferien, ja, selbst Kindern als ziemlich nützlichen Schachfiguren. Männer musste man austricksen, manipulieren, ihnen um den Bart gehen. Und Olivia hatte viele Ratschläge von Mimsy angenommen; schließlich wollte sie, dass ihre Ehe funktionierte, und es gefiel ihr gar nicht, wie dramatisch sie sich in letzter Zeit verändert hatte. Doch
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