Der Flirt
Sie üben können, doch am Anfang müssen Sie sich auf so vieles konzentrieren, dass es das Beste ist, Sie halten sich sozusagen ganz streng ans Skript.«
»Und dann« - Jez grinste - »musst du dir nur noch um zwei Dinge Sorgen machen: Wie komme ich an sie ran …«
»… und wie werde ich sie wieder los!«, vollendete Marco den Satz.
»Sie müssen immer wissen, wo der Ausgang ist«, betonte Henry. »Kontakt herzustellen ist ziemlich leicht … ›Verzeihen Sie, meine Uhr ist stehengeblieben. Wissen Sie, wie spät es ist?‹ Oder: ›Verzeihen Sie, ich glaube, ich habe mich verlaufen. Können Sie mir sagen, wo der Portman Square ist?‹ Aber nachdem man Kontakt hergestellt, geflirtet und sie ganz aufgeregt gemacht hat, ist unbedingt ein sauberer Abgang erforderlich.«
»Vergiss nicht«, fügte Jez ernst hinzu, »nicht all unsere Zielpersonen sind verheiratet, einige sind solo. Du könntest an eine Klette geraten.«
»Eine Klette?«
»Ah! Schrecklich!« Marco schauderte. »Wie die einem auf der Straße nachlaufen! Oder auf die Herrentoilette folgen.
Eine hat mal versucht, ins selbe Taxi zu steigen! Ich musste so tun, als würde ich unter … wie heißt das noch … leiden? Wenn man plötzlich einschläft?«
»Narkolepsie«, steuerte Flick bei.
»Ach, du meine Güte!« Das war beängstigend.
»Normalerweise versehe ich das Briefing mit einem Hinweis«, warf Flick rasch ein, »›PK‹ für ›potenzielle Klette‹.«
»Trotzdem, jede Frau kann kompliziert werden«, warnte Henry, »und den nächsten Ausgang zu kennen, sich die Fluchtwege gut einzuprägen und sich behände zu bewegen, sind die wichtigsten Vorsichtsmaßnahmen für Notsituationen.«
»Notsituationen?«
»Vergessen Sie nicht, Hughie«, sagte Valentine, »dies ist eine Profession, die höchste Improvisationskunst erfordert und voller unbekannter Variablen ist. Jeder Flirt kann zu jedem Zeitpunkt schiefgehen.«
»So haben wir Freddie verloren.«
»Freddie?«
Bis jetzt hatte noch niemand Freddie erwähnt.
»Freddie war ein seltener Fall«, erklärte Henry. »Es ist höchst ungewöhnlich, dass eine Ausbildung so … extrem schiefläuft.« Seine Stimme verlor sich.
»Verloren?« Hughie spürte, wie ein leises Frösteln seine Beine hochkroch. »Wie?«
Marco beugte sich vor. »Sie war eine Mega-Klette, Smith. Niemals, in all den Jahren, habe ich so etwas je erlebt!«
»Ja, sie hatte eine unglaubliche Energie«, erinnerte Jez sich, »sie wälzte sich förmlich auf dem Boden herum, und ihr Blick war wie besessen … als hätte jemand sie in eine Glühbirnenfassung geschraubt. Aber Freddie hat nicht gerafft, dass sie verrückt war − alles, was er sehen konnte, war, dass sie zierlich war und blond.«
»Hüte dich vor zierlichen Blondinen!«, warnte Marco. »Vom ersten Augenblick, da er sie angesprochen hat, konnte man sehen, dass es Probleme geben würde!«
»Was ist mit ihm passiert?«
»Er hat sie geheiratet«, sagte Valentine scharf.
Schweigen.
Plötzlich wurde Hughie sein Hemd um den Hals zu eng, seine Haut kribbelte. Ein Totenschädel in den Gärten von Arkadien.
»Aber … ich meine, heiraten!« Er lachte hohl. »Das ist ein bisschen extrem!«
»Sie war eine Klette, Hughie.« Valentines Miene verriet keinerlei Gefühle. »Unterschätzen Sie nie eine Klette.«
»Sie fing an zu weinen«, erklärte Jez. »Ein klassischer Kletten-Schachzug. Und Freddie machte natürlich einen Fehler, einen großen Fehler. Er legte den Arm um sie. Wir haben versucht zu intervenieren, haben versucht, ihn dort rauszuholen … doch sie war zwar zierlich, aber ungeheuer stark …«
»Fasse die Zielperson niemals an!«, rief Marco. (Die ganze Sache war eindeutig zu viel für ihn.) »Niemals!«
»Womit wir bei den obersten Gesetzen unseres Berufes sind«, griff Henry ein und lenkte das Gespräch vom gefährlichen Abgrund zur Hysterie weg. »Kein Körperkontakt, junger Smythe. Eine körperliche Grenze zu überschreiten öffnet der Anarchie Tür und Tor. Von dem Augenblick an, da der arme Freddie die Klette umarmte, begann sein Schutzwall zu bröckeln. Und bevor er es wusste, hatte er den Ausgang aus dem Blick verloren, dann hat er ihr einen Drink ausgegeben, um sie aufzuheitern. Keine Stunde später war er uns für immer verloren.«
Valentine stand auf. »Distanz, Hughie. Dieser Beruf ist ein Paradox − wie der Arztberuf. Man muss Mitleid mit ihnen
haben, aber man kann diesen Frauen nicht helfen, wenn man keinen Abstand hält. Vergessen Sie das nicht, und
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