Der Flirt
Bewegung von einem Kunstwerk zum anderen, eine subtile Dynamik unerwarteten Nebeneinanders und unverhoffter Parallelen. Sie hatte es nicht für möglich gehalten, denn bis das letzte Werk an seinem Platz war, hatte das Ganze den Anschein eines wirren Haufens erweckt.
»Man weiß nie genau, wie sie sich mit- und zueinander verhalten«, hatte er ihr versichert, als sie eine riesige Leinwand mit einem erigierten Penis an Ort und Stelle gehievt hatten. »Das ist das Lustige daran!«
Olivia hatte ihre Zweifel gehabt, es hatte sie sogar ziemlich in Panik versetzt, doch er hatte recht. Obendrein hatte sich herausgestellt, dass sie gut war − ihr Instinkt, den riesigen Teddy ins Foyer zu schaffen, zum Beispiel. »Hervorragend!«, gratulierte Simon ihr entzückt. Jetzt stand er da wie ein unerschrockener Koloss, der die Besucher in eine andere Welt führte.
Sie ging weiter.
Hier waren die Fotos von Mülltonnen, das Tipi aus Menschenhaaren, das Jubiläums-Teeservice der Serienmörderin
Myra-Hindley, und dann ging es weiter in den nächsten Raum: Red Moriartys »Was für einen Sinn hat es, weiterzumachen?«.
Olivia blieb stehen.
Hier war ihr Leben − ihr Samtsofa, ihre Bücher, ihre Holbein-Zeichnungen … Bald würden Leute hereinschlendern und es begaffen und zu tiefgründigen Schlussfolgerungen über seine Bedeutung kommen.
Sie hatte es gelebt und lebte es immer noch. Würde sie es wagen, die Kritiken zu lesen, würde sie es ertragen, gesellschaftlich seziert zu werden? Oder wusste sie schon alles, was sie wissen musste? Kurz gesagt, dass es diesem Leben nicht gelungen war, ihr das schreckliche Gefühl innerer Schwerelosigkeit zu nehmen?
Nur dass dieses Gefühl, wie sie jetzt merkte, im Augenblick gar nicht in ihr war.
Der Raum und seine Objekte zogen sich von ihr zurück, verebbten wie ein schlechter Traum. Ihr Salon war jetzt leer, erinnerte sie sich. Ein Vakuum, das darauf wartete, neu gefüllt zu werden.
Und der Salon war nicht das Einzige im Haus, was leer war.
Sie ging weiter und kam in den letzten Raum.
Darin war nichts außer Mrs. Hendersons brauner Velourssessel.
»Mrs. Henderson ist in diesem Sessel gestorben.«
Hässlich, alltäglich, kraftvoll weigerte er sich, etwas anderes zu sein als das, was er war.
Zuerst hatte sie sich davor geekelt. Doch je mehr Zeit sie damit verbracht hatte, desto mehr hatte sie seine kompromisslose Reizlosigkeit zu schätzen gewusst. Er würde nie schön sein, und doch besaß er eine ganz eigene, abscheuliche Integrität.
Das allein machte ihn zu etwas Besonderem.
Dann bemerkte sie, dass zwei Beine daraus hervorragten.
Sie ging um ihn herum. Red Moriarty war in Mrs. Hendersons Sessel eingeschlafen.
»Red!« Sie rüttelte sie an der Schulter. »Red! Wachen Sie auf!«
Ihre Augenlider flatterten, und sie wachte auf. »Oh! O Gott, wie spät ist es?«
»Spät.« Olivia zog sie hoch.
»Tut mir leid. Ich bin wohl eingeschlafen.« Sie reckte sich wie eine Katze. »Ich habe ziemlich viel um die Ohren, und Rory schläft im Augenblick nicht. Das macht mich wahnsinnig.«
Sie gingen durch die Galerie zum Ausgang.
»Wie alt ist Rory?«, fragte Olivia. »Ich würde ihn gern kennenlernen. Es muss eine ziemliche Herausforderung sein, allein ein Kind großzuziehen.«
»Er ist drei Jahre. Ja.« Red gähnte noch einmal. »Herausforderung ist eine schöne Umschreibung. Obwohl ich, wenn ich ehrlich bin, manchmal glaube, dass ich es leichter habe. Ich habe Freundinnen, die ständig darüber meckern, dass ihre Männer keinen Finger krumm machen, bla, bla, bla, und wenn doch, machen sie alles falsch. Sie streiten dauernd. Bei Rory liegt die Verantwortung ganz allein bei mir.« Sie zeigte auf ihre Brust. »Es ist leichter, wenn man nichts von jemand anderem erwartet. Nein, mich um Rory zu kümmern ist nicht schlecht. Aber ab und zu bin ich einsam.« Sie dachte an Hughie Armstrong Venables-Smythe, den Typ, der nie wieder in dem Café aufgetaucht war. »Wissen Sie, es wäre schön, ein wenig Aufmerksamkeit zu erhalten. Jemanden zu haben, der einen bemerkt.«
»Ja, das wäre schön«, pflichtete Olivia ihr wehmütig bei.
»Ich fühle mich unsichtbar. Seit Rory auf der Welt ist,
habe ich das Gefühl, nur noch die Person zu sein, die den Kinderwagen schiebt.«
Olivia wollte das Richtige sagen, ihr Mut zusprechen. »Aber Sie sind eine schöne junge Frau mit einer wunderbaren neuen Karriere!«
Red sah sie unschlüssig an. »Ja, nun …«
»Ich finde Sie mutig. Ich glaube nicht, dass ich
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