Der Fluch der Druidin
es gar nicht wissen«, brummte Atharic, bevor er ernster nachhakte: »Was meint Ihr damit?«
»Habt Ihr schon einmal von den Suaneten gehört?«
Talia und Atharic schüttelten gleichzeitig den Kopf.
»Kriegerisch ist ein zu harmloser Begriff für sie. Die Suaneten sind unberechenbar. Es mag Euch gelingen, sie mit Gold zu bestechen, es mag sein, dass sie Euch einfach so passieren lassen, es mag auch sein, dass Ihr keinem von ihnen begegnet. Der Pass, den ich Euch rate zu überqueren, wird nicht häufig begangen, daher bewachen sie ihn nicht immer. Es gibt dort, wo das suanetische Gebiet beginnt, auch eine sehr enge Schlucht, der beste Platz für einen Hinterhalt. Wenn es Euch gelingt, die Schlucht unversehrt zu umgehen, mögt Ihr das Schlimmste hinter Euch haben – oder eben auch nicht. Sicher seid Ihr erst, wenn Ihr den Pass überwunden habt und aus den Bergen zur Ebene und zum Gebiet der Lepontier hinabsteigt. Die Lepontier sollten Euch jedenfalls keine Probleme bereiten, wenn Ihr Euch als Vindeliker zu erkennen gebt. Gegen einen geringen Wegezoll werden sie Euch unbehelligt passieren lassen. Das Problem ist nur, zu ihnen zu gelangen.«
»Das klingt nicht sonderlich aufmunternd.«
»Es tut mir leid, aber Ihr müsst wissen, dass dies kein einfacher Ritt wird.«
»Das, zumindest, ist uns mittlerweile klar.«
»Nein.« Der Briganter blieb stehen. »Euch muss klar sein, dass es gerade eine
richtig
schlechte Zeit ist, die Berge zu überqueren! Viele Händler, etliche meiner Leute haben in diesem und dem letzten Jahr den Tod gefunden. Und das nicht nur wegen des Wetters und der üblichen Gefahren. Die Bergstämme sind … unruhig. Ihr mögt schneller als erwartet in eine Situation geraten, in der Ihr Euch wünschen werdet, der Himmel möge Euch auf den Kopf fallen!«
»Wir haben keine andere Wahl.«
»Dann lasst mich die Frage anders stellen: Seid Ihr wirklich sicher, dass Eure Tochter auf dem Weg zu den Kimbern ist?«
»Oder bereits dort, ja. So sicher, wie wir uns unter den Umständen sein können.«
»Ich wünschte, ich könnte Euch eine größere Hilfe sein.«
»Ihr tut schon mehr, als wir erwarten können. Wir sind Euch sehr dankbar.«
»Ich würde nicht anders handeln, wenn es um meine Kinder ginge. Ich habe im Laufe meines Lebens zwei Söhne verloren und drei Töchter. Es erscheint nicht richtig, die eigenen Kinder zu überleben, nicht wahr? Habt Ihr noch weitere?«
Talia rieb sich mit den Fingern über die Unterlippe. Es überraschte sie nicht, dass Atharic ihr die Antwort überließ. Kaum ein Tag verging, an dem er nicht an die vier Kinder, die bei seiner ersten Frau im Land der Taurisker geblieben waren und die er nie wiedersehen würde, dachte. Es war eine halbe Ewigkeit her, seit er sich mit seinem Rabenvolk von den Kimbern getrennt, und noch länger, seit seine Frau ihm mitgeteilt hatte, dass sie ihn verlassen würde – in einem Land, weit im Südosten jenseits des Gebirges. Talia hatte keine Vorstellung davon, wie viele Tagesritte es überhaupt entfernt war. Und Atharic wusste nicht einmal, ob seine erste Frau und ihre gemeinsamen Kinder noch lebten.
»Einen Jungen und ein Mädchen«, antwortete sie. »Sie sind viele Jahre jünger als Sumelis. Wir haben sie im Norden zurückgelassen.« Talia wählte Worte und Tonfall bewusst hart, so als würde die Übung, sie auszusprechen, sie selbst stärker machen, besser wappnen gegen den Schmerz und alle Vorwürfe, die kommen mochten.
»Was wird mit ihnen passieren, falls Ihr nicht zurückkehrt?«
Weder Talia noch Atharic hätten behaupten können, von der Frage überrascht zu sein. Dennoch war es diesmal an Talia, ihre Antwort hinauszuzögern. Als Atharic und Caran über diesen Fall gesprochen hatten, hatte sie stumm neben ihnen gestanden und mit den aufwallenden Schuldgefühlen gekämpft, die sie seit ihrer Abreise aus dem Norden nie ganz verlassen hatten.
»Ich werde mich um sie kümmern«, hatte Caran gesagt und Atharics Unterarm mit einem festen Griff umklammert. »Ich schwöre bei meinem Leben, dass ihnen nichts geschehen wird. Ein solcher Fehler, wie er mir bei Sumelis unterlaufen ist, wird nicht wieder vorkommen. Ich hoffe, ihr wisst das.«
»Das mit Sumelis war nicht deine Schuld!«, hatte Atharic erwidert. »Ich kenne nach wie vor keinen Mann, dem ich meine Kinder lieber anvertrauen würde als dir. Wir machen dir keine Vorwürfe.«
Vorwürfe. Immer wieder hatte Talia sich gefragt, ob es recht war, zwei Kinder zurückzulassen, um ein
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