Der Fluch der Halblinge
Der Berghang sah aus, als wäre nichts gewesen. Nur ein paar dunkle Flecken zeugten noch von dem gestrigen Kampf, der Rest war im Boden versickert. Auch das Gewitter hatte sich verzogen, und es erwartete sie ein strahlender Tag. Von den Myrkalfren drohte wohl keine Gefahr mehr.
Der Zauberer winkte ihnen noch ein Stück nach, dann verschwand er.
Als sie den Berg weiter hinabstiegen, hielt Fionn plötzlich inne und starrte zum Himmel.
»Was ist?«, fragte Morcant.
»Der Vogel da oben«, antwortete der junge Bogin und deutete hinauf. »Ich bin mir sicher, dass ich den schon einige Male gesehen habe.«
»Es ist ein Greifvogel, ein Bussard, denke ich. Die gibt es überall, und hier ganz besonders. Wie willst du ihn wiedererkennen?«
»Ihm fehlt eine Schwungfeder im linken Flügel. Und zwar an genau der Stelle wie bei diesem Vogel da oben auch.«
»Ein Späher«, sagte Peredur, und der Meersänger nickte.
»So sind sie uns immer auf der Spur geblieben. Hätten wir mal lieber besser aufgepasst.«
»Fionn hat es für uns getan.« Peredur nickte ihm anerkennend zu. »Danke.«
»Keine Ursache.« Er spürte, wie er rot wurde. Peredur war anders als Tuagh. Als wäre er aus der Hülle des Mannes mit der Axt hervorgetreten, gewandelt und neu geboren. Nur immer noch ohne Herz.
Màni und Màr stellten sich nebeneinander auf. »Dem werden wir jetzt ein Ende setzen.« Tuagh und Peredur stellten sich als Deckung vor sie. Es ging so schnell, dass Fionn gar nicht folgen konnte. In einer fließenden Bewegung nahmen sie ihre Bögen, legten jede einen Pfeil an, und schossen ohne langes Zielen.
Der Vogel, der neugierig etwas tiefer gesunken war, um nachzusehen, was da unten vor sich ging, flog in sein Verderben. Die Pfeile schlugen in seiner Brust ein, er stieß einen schrillen Pfiff aus, und dann taumelte er in einem wilden Wirbel aus Federn zu Boden.
»Genau im richtigen Moment«, stellte Peredur zufrieden fest. »Jetzt können sie nur Vermutungen anstellen, auf welchem Wege wir nach Sìthbaile reisen.« Sie beeilten sich, den Berg hinabzukommen und beobachteten dabei unablässig Luft und Boden. Es kam kein anderer Vogel.
Am Fuße des Berges trennten sie sich. Fionn und Peredur stiegen auf ihre Pferde; die Elben würden zu Fuß auf anderen Wegen zu der Bootslandestelle laufen. Blaufrost und Gru Einzahn würden nach Sonnenuntergang gemeinsam direkt nach Sìthbaile laufen und die Gefährten dort erwarten. Valnir saß hinter Peredur auf, und dann ging es los.
Die Bogins mochten zwar Hafren verehren, aber mit der Schifffahrt und größeren Gewässern allgemein hatten sie nichts am Hut. Fionn hing Stunde um Stunde jämmerlich über der Reling, und es war ihm völlig egal, dass die Sturmsee ihrem Namen alle Ehre machte und ihm die salzige kalte Gischt ins Gesicht schlug. Dabei zog die Seeschwalbe ohnehin einen Bogen, weil die Gewässer in Küstennähe noch viel unruhiger waren und dort beständig die Gefahr bestand, gegen die Steilküste gedrückt zu werden oder vorher schon an hochragenden Felsen aufzuschlagen und zu kentern.
Als es endlich wieder an Land ging, hatte Fionn weiche Knie und schwor sich, nie wieder im Leben ein Schiff zu betreten und vor allem nie wieder etwas zu essen. Es waren die schlimmsten Stunden seines Lebens gewesen, schlimmer noch als die Folter, und es war ihm auch kein Trost, dass dem Elbenkapitän zufolge die See sogar »ausgesprochen heiter« gewesen sei und sie deswegen viel schneller als erwartet gesegelt wären.
Schon eine Stunde später, nach einem heißen Bad und in trockener Kleidung, dachte er völlig anders über das Essen, als ihm der Duft frischen Bratens aus der Gaststube entgegenschlug. Peredur wäre am liebsten sofort weitergeritten, aber der Abend war schon angebrochen, und nachts kamen sie auch auf einer gut ausgebauten Straße kaum voran.
Die Elben wurden damit beauftragt, gute Pferde zu besorgen, wofür Luvhafen genau der richtige Ort war, und es hieß Abschied nehmen von dem treuen Allsvartur und dem roten Hengst. In dem Gasthaus, in dem sie untergekommen waren, stellte man nicht viele Fragen, solche Neugier war in Hafenstädten nicht üblich. Peredur hatte seine Königskleidung gut verstaut und war wieder in seine schäbigen alten Sachen geschlüpft. Dazu trug er einen Lederhut, der vor Sonne und Regen und neugierigen Blicken schützte. Fionn an seiner Seite wurde nicht weiter beachtet; es konnte ja sein, dass ein Herr seinen Sklaven nicht freiwillig ausgeliefert hatte, und in
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