Der Fluch der Halblinge
Tuagh und er waren nur noch wenige Schritte entfernt, beinahe hätten sie es geschafft gehabt.
Jetzt haben sie uns , dachte er voller Angst, und alles in ihm schrie danach, auf der Stelle kehrt zu machen und davonzulaufen, so wie gestern.
Er merkte, wie Tuaghs Haltung sich versteifte; der Wanderkrieger hegte vermutlich genau diese Befürchtung, dass sein Schützling sich durch kopflose Flucht verraten würde, und machte sich auf die Folgen gefasst.
Nein, nein, ich tue das nicht, ich bereite dir keine Schande , dachte er hektisch, um sich selbst zu beruhigen und bei der Stange zu halten. Er schuldete Tuagh sein Leben, und er durfte ihn nicht in Schwierigkeiten bringen, egal, was mit ihm geschah.
Er presste fest die Kiefer aufeinander, damit seine Zähne nicht laut klapperten, und er hoffte, dass er wegen seiner weichen Knie nicht etwa stolperte.
»Halt!«, rief der Patrouillenführer und streckte die Hand vor.
Augenblicklich blieben alle stehen, die sich in der unmittelbaren Nähe befanden, einschließlich des Wanderkriegers und des Bogins.
Sie haben uns, sie haben uns, siehabenuns .
Fionn achtete darauf, sich in Tuaghs Schatten zu halten. Ich bin ein Bogin, ich bin unauffällig wie ein Huhn . Seine Stiefel scharrten auf dem Kopfsteinpflaster, weil seine Füße nicht stillhalten konnten, sondern fort wollten, nur fort … Atmen. Nicht vergessen zu atmen, denn wenn du ohnmächtig wirst, ist erst recht alles verloren .
So nah war die Gefahr noch nie gewesen, außer in jenem Moment, als die Wachen Meister Ians Haus gestürmt hatten und Fionn gerade so entkommen war.
Er könnte es Tuagh nicht verdenken, wenn der ihn jetzt verriete. Er war schließlich ein freier Mensch, und Fionn nur ein Sklave. Ein vogelfreier Sklave. So einer konnte nicht erwarten, dass sich jemand für ihn opferte, und das ergäbe auch gar keinen Sinn.
Der Arm des Patrouillenführers schoss vor. »Du!«
Er zeigt auf mich , dachte Fionn verzweifelt, während er den Kopf gesenkt hielt und der Versuchung widerstand, aufzuschauen.
»Deine Papiere, los!«
Fionn überlegte hektisch, was er nun noch tun konnte, da erklang eine quäkende Stimme.
»Immer mit der Ruhe, Mann, is’ ja gut!«
Fionn wagte ein leichtes Heben des Kopfes, und er sah erstaunt, dass der Patrouillenführer vor einem Angehörigen der Kleinen Völker stand, ein Grün gewandetes Hutzelmännlein mit roter Kappe. Ein Pougie, der zu den Goblins gehörte.
Der Pougie nestelte einen Fetzen fleckiges Papier hervor. »He, nich’ anfassen, nur angucken! Ich kenn euch Brüder doch, nehmt ’nem anständ’chen Bürcher einfach das Dokument wech und meint dann, alles mit ei’m mach’n zu könn’n.«
»Verzeihung«, erklang in diesem Moment Tuaghs tiefe, ruhige Stimme, und Fionn zuckte zusammen. Was tat er da? Wieso redete er jetzt, machte auf sie beide aufmerksam? »Können wir passieren? Hier entsteht sonst eine Stockung, die sich den ganzen Tag hinzieht.«
Der Patrouillenführer musterte den Wanderkrieger, der um eine Fingerlänge größer und um einiges breiter in den Schultern war als er. Und er sah vermutlich auch die durch ausführlichen Gebrauch und gute Pflege ausgewiesenen Waffen des Mannes und ließ sich nicht von den grauen Haaren täuschen.
»Was willst du denn mit dem kleinen Bürschlein da?«, fragte er und deutete auf Fionn.
»Das ist der Sohn meiner Schwester«, antwortete Tuagh. »Hat gerade seinen Vater verloren. Ich bringe ihn zur Trauerzeremonie.«
Fionn drückte sich an Tuagh und tastete nach seiner Hand, wie es vermutlich ein kleiner Menschenjunge getan hätte.
Der Patrouillenführer wedelte ungeduldig mit der Hand. »Geht durch. Und ihr anderen auch, was glotzt ihr denn so?«, fuhr er die Umstehenden an. »Packt euch!«
Erleichtert machten sich alle umgehend auf den Weg; die Aufmerksamkeit des Patrouillenführers wurde wieder auf den Pougie gelenkt, der in dem Trubel gleichfalls versuchte, sich davonzumachen. Gut für Tuagh und Fionn, sie konnten ungehindert passieren, denn niemand achtete mehr auf sie.
Der junge Bogin wäre jetzt nur zu gern in Ohnmacht gefallen, so erleichtert war er, aber er durfte sich weiterhin nichts anmerken lassen. Die Gefahr war noch lange nicht vorüber.
»Wird das nun immer so sein?«, fragte er seinen Begleiter leise.
»Natürlich«, antwortete Tuagh. Und fügte nach einer Weile hinzu: »Nur schwieriger.«
Die Stadt nahm und nahm kein Ende. Die Mittagsstunde war längst erreicht, das harte Kopfsteinpflaster ließ die
Weitere Kostenlose Bücher