Der Fluch der Halblinge
Füße selbst durch die Stiefel schmerzen, und Fionn war müde und hungrig. Entsprechend war seine Laune, und er hatte tatsächlich schon längere Zeit kein Wort mehr gesagt. Tuagh schien das nicht einmal zu bemerken. Er schritt ruhig und gleichmäßig aus, ohne besondere Eile, aber auch nicht zu langsam.
Es waren weiterhin viele Soldaten unterwegs, aber sie befanden sich nicht mehr auf einer Hetzjagd, so wie gestern. Es fanden Hausdurchsuchungen statt, Leute wurden befragt, und inzwischen war das Geschehen auch Stadtgespräch. Aber es war für viele, deren Unterhaltungen Fionn beim Vorübergehen aufschnappte, ersichtlich, dass sich kein Bogin mehr auf freiem Fuß befand.
Ab und zu wurden Tuagh und Fionn gemustert, aber der Wanderkrieger hatte recht gehabt mit seiner Vermutung: Fionns helle, seidige Haare und seine Menschenkleidung ließen die Vermutung, dass es sich bei ihm um einen Bogin handeln könnte, gar nicht erst aufkommen.
Und das bedeutete noch etwas. Sein Herr hatte Fionn bisher nicht verraten, sonst hätten die Soldaten nach jemandem mit seiner Beschreibung gesucht. Sie wussten also nicht, dass sich nicht nur einer, sondern zwei Bogins auf der Flucht befanden. Fionn schämte sich jetzt, dass er vorhin ungerechtfertigt wütend auf seinen Herrn gewesen war; Meister Ian hatte es immer gut mit ihm gemeint. Warum er ihn jetzt noch beschützte, konnte Fionn sich nicht erklären, doch er war seinem Meister unendlich dankbar. Bestimmt kümmerte er sich ebenso um Cady und die anderen. Hoffentlich schadet ihm das nicht , dachte er besorgt. Aber Meister Ian Wispermund war ein erfahrener alter Mann, er wusste schon, was er tat.
Sie kamen an verschiedenen Märkten vorbei, die gut besucht waren, und auf den Straßen herrschte lebhafter Verkehr, was für einen Flüchtling nur günstig war. Auf dem hügeligen Gelände links und rechts der Allee, auf der sie sich die ganze Zeit in unverfrorenem Mut voranbewegten, sah Fionn nun mehr und mehr Elbenhäuser, die sich deutlich von denen der Menschen unterschieden.
Jedes Gebäude stand für sich, häufig auf Stelzen, von Bäumen und Büschen umwuchert. Manchmal, wenn es sich augenscheinlich um eine größere Familie handelte, waren sogar einige Gebäude abgestuft übereinander gebaut, die über Außentreppen miteinander verbunden waren, aber das kam eher selten vor. Mehrstöckige Häuser wie bei den Menschen, vor allem in unterschiedliche, abgeschlossene Bereiche aufgeteilte und von verschiedenen, einander fremden Familien bewohnte, waren für Elben anscheinend undenkbar. Vor allem aber zeichnete sich die elbische Architektur dadurch aus, dass es keine quadratischen Bauten oder überhaupt eine Ecke gab, sondern ausschließlich abgerundete Formen und kuppelförmige Dächer.
»Nun verlassen wir das Zentrum der Stadt«, erklärte Tuagh, dem Fionns Unruhe irgendwann auffiel. »Es mag zunächst nicht so wirken, aber Sìthbaile ist hauptsächlich eine Elbenstadt. Sie leben jedoch alle außerhalb des Zentrums, auf diesem weit ausgedehnten Gelände. Das gilt nicht nur hier im Norden, sondern auch nach Süden hinunter, bis fast zum Schwarzmeer. Und so weit reicht auch das Straßennetz.«
»Ich dachte immer, die Unsterblichen leben sehr heimlich und zurückgezogen«, gestand Fionn.
Tuagh nickte. »So war es und ist es zum Teil immer noch. Aber es gibt eben auch andere. Vor allem hier leben sie nicht in Sippen zusammen, sondern höchstens auf Nachbarschaft. Sie sind längst nicht alle gleich, Fionn, sondern von sehr unterschiedlicher Art, wie wir Menschen auch.«
»Bogins sind da anders. Na ja, bis auf mich«, fügte er murmelnd hinzu. »Ob ich je herausfinde, was mit mir nicht stimmt?«
»Mit dir stimmt alles, Junge, rede keinen solchen Unsinn.«
»Das sagst du, weil du ein Mensch bist.«
»Und was sagt Cady dazu?«
Das brachte Fionns Selbstmitleid zum Verstummen. Cady hatte sich nie daran gestört, dass er anders aussah. Es schien ihr im Gegenteil sogar gut zu gefallen. Und wenn er es recht bedachte, waren ihre hellen Augen auch ungewöhnlich, und sie war so groß wie Fionns Mutter, mit besonders schönen Haaren. Ach, Cady . Fionn seufzte. Wie mochte es ihr gehen? Und seinen Eltern? Onkelchen Fasin? Unwillkürlich beschleunigte er und wäre beinahe in Tuagh hineingelaufen.
Der Krieger wandte sich ihm zu. »Na, auf einmal neue Kräfte gefunden, dass du so forsch loslegst?«
»Ich habe Durst und Hunger, und meine Füße tun mir weh«, maulte der junge Bogin. »Aber ich habe
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