Der Fluch der Halblinge
Das würde sich dann erweisen. Irgendwo musste er schließlich anfangen.
»Uskafeld ist das Tor nach überall hin«, fuhr Tuagh fort. »Südwärts führt eine Straße nach Midhaven, der Hafenstadt am Schwarzmeer. Von dort aus wird die Westküste von Albalon mit Handelsschiffen umfahren. Westwärts führt eine Straße nach Mathlatha, und nordwärts … nun, geht es mitten hinein ins Südreich von Albalon, Richtung Brandfurt, und immer weiter hinauf, bis du zum Nordreich gelangst.«
»Also ist Uskafeld eine große, bedeutende Stadt?«
»Nein. Zwischenstation und Markt. Wer sich niederlassen oder erfolgreich werden will, geht nach Sìthbaile. Das Bedeutendste an Uskafeld ist die große Brandy-Destillerie, und es gibt auch eine bedeutende Bierbrauerei. Der Ukka ist berühmt für sein gutes Wasser. Die Zwerge sind dabei die besten Handelspartner. Deshalb ist die Stadt zwar klein, aber reich.«
»Sìthbaile liegt gar nicht an einem Fluss.«
»Weil die Emperata auf großen unterirdischen Wasseradern sitzt und aus zahllosen Brunnen schöpfen kann. Das macht diese Stadt so unangreifbar.«
Fionn war erstaunt. »Wer sollte die Stadt des Friedens angreifen wollen?«
»Bisher niemand, kleiner Halbling, doch wer weiß. Und dann gibt es da noch Dürren oder neidische Barone, die Wasserrechte für ihre Flüsse verlangen.« Tuagh wies auf das Kopfsteinpflaster zu seinen Füßen. »Außerdem ist die Sauberkeit dieser Stadt keine Selbstverständlichkeit. Das reichhaltig strömende Grundwasser ermöglicht ein ausgeklügeltes Kanalsystem, das allen Häusern ihre eigene Wasserversorgung bietet und zugleich Schmutz und Dreck abführt. Den Rest erledigt die Abfallgilde, die vielleicht anrüchig wirken mag, aber zu den reichsten der Stadt gehört.«
Fionn hörte fasziniert zu und vergaß dabei völlig, wieso sie unterwegs waren. Es war eine neue Welt, die er entdeckte – oder die Welt an sich. Er hatte nie über all die Selbstverständlichkeiten nachgedacht, mit denen er aufgewachsen war. Das alles beruhte auf dem unerschöpflichen Ideenreichtum von Planern und Erfindern und Erbauern … »Das haben die Elben geschaffen?«
»Elben und Menschen«, erwiderte Tuagh. »Ja, es war die erste gemeinsame Großtat der beiden Völker, und auch die Zwerge hatten ihren Anteil daran. Vor allem beim Kanalsystem, weil sie sich am besten auskennen mit unterirdischen Bauten, die nicht in sich zusammenfallen dürfen.«
»Wie lange ist das her?«
»Wer weiß.«
Fionn runzelte die Stirn. Wieder eine der vielen kryptischen Andeutungen, und immer wenn es um Zeitpunkte ging. Seltsam, genauso war es bei Tiws Erzählungen vorgestern auch gewesen. Sobald es darum ging, wann der Große Krieg gewesen sein sollte, antwortete er ausweichend, so wie Tuagh jetzt. Der Wanderkrieger gab ein Wissen preis, das ungewöhnlich für einen umherziehenden Söldner war, das jedoch, was den zeitlichen Hintergrund betraf, gewisse Grenzen nicht überschritt. Wollte oder konnte er nichts darüber sagen?
»Woher weißt du das alles?«
»Manche Auftraggeber sind redselig.« Tuaghs Miene verfinsterte sich. Er schien sich zu ärgern, so viel erzählt zu haben. »Hör zu, Fionn, nur weil ich ein Krieger bin, muss ich nicht ungebildet sein!«
»Entschuldige«, murmelte Fionn. »Ich frage nur so dumm, weil ich dumm bin. Ich habe keine Bildung, weiß nichts von der Welt, und kann gerade ein bisschen lesen, weil ich für mein Volljahr gelernt habe, um die Große Arca öffnen zu können.« Er schluckte. »Sklaven, die das Haus ihres Herrn nie verlassen, brauchen keine Bildung.« Er sah zu dem Wanderkrieger auf. »Unbedeutend wie ein Huhn«, fügte er bitter hinzu.
»Das ist nun einmal so«, versetzte Tuagh ungerührt. »Hat man das Buch der Weisen erst einmal geöffnet, bleibt letztendlich nur die Erkenntnis, dass man nichts weiß, und man wünscht sich, man hätte es nie erfahren.«
»Dumm und glücklich.« Fionn empfand plötzlich Wut auf seinen Herrn und fing an zu begreifen, was Sklaverei tatsächlich bedeutete.
»Du wirst nie wieder zufrieden sein«, fügte Tuagh gnadenlos hinzu. »Hinter jeder Antwort wartet eine neue Frage, und das wird niemals mehr aufhören.« Er beschleunigte den Schritt. »Erste Lektion zum Betreten der Welt.«
Eine Patrouille kam ihnen entgegen, und Fionn zog den Kopf ein. Er achtete darauf, sich unauffällig zu geben, wie es die Art der Bogins war. Das Herz rutschte ihm augenblicklich bis in die Kniekehlen hinunter, als die Wachleute anhielten.
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