Der Fluch der Hebamme
Moment lang überlegte er, ob er von Rutgers Bemerkung über Clara erzählen sollte, unterließ es jedoch. Der Freund würde dann vermutlich etwas sehr Unüberlegtes tun, das ihre Möglichkeiten eher verringern könnte, hier herauszukommen.
»Überrascht dich das?«, fragte Roland verächtlich. »Diese Ratte gehörte zu den Ersten, die mit wehenden Fahnen zu Albrecht überliefen.«
»Was ist eigentlich passiert? Am Morgen kam Elmar in unsere Kammer, verkündete großspurig, wir hätten nun Albrecht zu gehorchen, Hartmut forderte uns auf, keine Dummheiten zu begehen, und dann haben sie die anderen rausgelassen. Nur ich bekam diese … besondere Behandlung.«
Was er versucht hatte, um die anderen außer Gefahr zu bringen, ließ Thomas unerwähnt. Es hatte ja doch nichts genützt.
»Wie es aussieht, war die Einladung des Burggrafen nur ein Vorwand«, berichtete Roland. »Albrecht und sein Vetter Konrad, der junge Graf von Groitzsch, haben sich heimlich verbündet, Ottos Leibwachen außer Gefecht gesetzt, sofern sie nicht übergelaufen sind oder an der Verschwörung beteiligt waren, und den alten Markgrafen gefangen gesetzt.«
»Gab es Tote?«, fragte Thomas mit einem dumpfen Gefühl im Magen.
»Drei«, berichtete Roland und nannte die Namen. »Die meisten von Elmars Leuten waren eingeweiht und haben sofort die Seiten gewechselt. Die Übrigen taten es, nachdem der alte Hartmut verwundet wurde und aufgab. Wer in der Nacht schlief, der musste heute Morgen feststellen, dass sich die Verhältnisse geändert haben. Mich haben sie gleich in Fesseln gelegt. Es rechnete wohl niemand ernsthaft damit, dass ich Albrecht einen Treueschwur leiste. Aber wie du gehört hast, haben sie noch Verwendung für mich, sonst hätten sie mir auch die Kehle durchgeschnitten.«
»Und Otto?«
»Wird von seinem Groitzscher Neffen bewacht und soll unterschreiben, dass er die Mark Meißen an Albrecht abtritt. Es geht doch nichts über verwandtschaftliche Bande.«
Einen Moment lang herrschte Schweigen zwischen den beiden Freunden.
Dann fragte Thomas: »Was denkst du, was sie mit unseren Familien machen?«
»Die zwingt Albrecht mit uns als Geiseln zu Gehorsam. Das ist sozusagen unser Glück.«
»Weil sie uns deshalb am Leben lassen?«
»Nicht zwingend«, gestand Roland ein, doch seine weiteren Worte klangen recht gelassen. »Wir müssen nur die nächsten paar Tage überleben. Unsere Väter werden sich schon etwas einfallen lassen, um uns hier rauszuholen.«
»Dein alter Herr tut sich ja mächtig schwer, sich mit dem Unvermeidlichen abzufinden«, meinte Konrad von Groitzsch zu seinem Vetter Albrecht, bevor er seine Zähne in einer Fasanenkeule versenkte und ein großes Stück abbiss.
Die beiden Markgrafensöhne saßen im prächtigsten Raum der Burg, um ihren Sieg zu feiern. Die Diener und Knappen hatten sie hinausgeschickt, nachdem ein üppiges Mahl aus Wild und reichlich Wein aufgetafelt waren. Nur Elmar leistete ihnen Gesellschaft. Vor ihm hatte Albrecht keine Geheimnisse, schließlich war dieser ihm all die Jahre ein kluger Ratgeber gewesen und hatte auch diesen Handstreich geplant.
»Er war schon immer ein unverbesserlicher Starrkopf«, antwortete Ottos Erstgeborener verächtlich. »Hätte er eher nachgegeben und eingesehen, dass es längst Zeit war, mir die Regentschaft zu überlassen, wäre ihm diese Schande erspart geblieben. Vor allem, wenn ich nicht hätte fürchten müssen, dass er mir mein Erstgeborenenrecht streitig macht.«
Er prostete dem Sohn des Markgrafen der Ostmark zu. »Auf die neuen Zeiten!«
Konrad nahm die Keule in die Linke, wischte die fettige Rechte kurz am Tischtuch ab und trank ihm grinsend zu.
»Ich danke dir für deine Unterstützung«, sagte Albrecht feierlich. Dann blickte er misstrauisch um sich und senkte die Stimme. »Und solltest du irgendwann einmal jemanden brauchen, der
deinen
alten Herrn bewacht – du kannst auf mich zählen!«
Konrad dachte nicht daran, leise zu sprechen.
»Pah, die Mühe können wir uns sparen. Mein Vater ist so fett, dass er kaum noch auf ein Pferd kommt. Wie will der noch das Land regieren? Es ist nur eine Frage der Zeit. So lange kann ich warten und mir die Tage getrost bei der Jagd und den Weibern vertreiben. Reite du nur morgen nach Meißen und verkünde die frohe Botschaft. Ich passe derweil auf meinen geliebten Onkel auf und bringe ihn dazu, die Urkunde zu unterschreiben.«
Bei seiner Völlerei ist es ein Wunder, dass er nicht genauso fett ist wie sein Vater,
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