Der Fluch der Hebamme
Erstgeborenen die Mark Meißen übertragen, das solltet Ihr inzwischen mitbekommen haben«, wies ihn der Bürgermeister ungeduldig zurecht.
»Wissen wir das genau?«, fragte Jonas mit bedeutungsschwerem Unterton. »Es geht das Gerücht, Albrecht habe seinen Vater gefangen gesetzt, und der weigere sich, die Abtretungsurkunde zu unterschreiben.«
Seine Worte lösten ein Getöse unter den Ratsherren aus. Erschrockene und entrüstete Ausrufe schwirrten durch die Ratsstube, bis der Gewandschneider seinen zinnernen Becher mehrmals hintereinander auf die Tischplatte krachen ließ.
»Ruhe!«, brüllte er, wobei sich seine ohnehin schon hohe Stimme überschlug. »Wie könnt Ihr hier solche Ungeheuerlichkeiten vortragen, Meister Jonas?«
Der Schmied dachte nicht daran, preiszugeben, woher er das wusste. »Ein paar von den Knappen haben sich darüber unterhalten, als sie Kettenhemden zum Ausbessern brachten«, log er ungerührt. Für diese Sünde würde er später Buße tun.
»Haben wir eine Möglichkeit, festzustellen, was daran ist?«, fragte bedacht der Älteste in der Runde, ein kahlköpfiger, weißbärtiger Fuhrmann namens Friedrich, der schon über sechzig Jahre zählte.
»Wir können ja Graf Albrecht fragen«, schlug der Bergschmied Karl – Marthes Stiefsohn aus ihrer ersten, erzwungenen Ehe – innerlich grinsend vor und setzte die harmloseste Miene auf, zu der er in diesem Augenblick fähig war.
»Seid Ihr wahnsinnig geworden?«, kiekste der Gewandschneider und schnappte nach Luft. »Womöglich lässt er uns dafür hängen!« Er zerrte am Halsausschnitt seines Bliauts, als würde ihm schon jetzt die Luft knapp.
»Falls Meister Jonas recht hat«, meinte der Fuhrmann bedächtig, »und noch gar nicht feststeht, ob Albrecht der rechtmäßige Herrscher ist, dann sollten wir den Tag nicht aus den Augen verlieren, an dem Otto zurückkehrt und sich an denen rächt, die einfach übergelaufen sind.«
»Albrecht
ist
nun der Herrscher, ganz gleich, ob rechtmäßig oder nicht. Denn er ist auf dem Weg hierher, wird jede Menge Bewaffneter mitbringen und erwartet unsere Huldigung«, wies ihn der Tucher – ein Vorgänger und guter Freund des Bürgermeisters – schroff zurecht. »Selbst wenn Fürst Otto noch einmal wiederkehren sollte, dann bestimmt nicht für lange. Er ist fast siebzig Jahre alt und wird bald vor seinen Schöpfer treten. Wir sollten uns weniger vor Otto fürchten als vor dem Tag, an dem
Albrecht
nach dem Tod seines Vaters mit jenen abrechnet, die ihm nicht von Anfang an treu ergeben waren!«
Karl und Jonas tauschten einen düsteren Blick. Sosehr es ihnen widerstrebte – das war nicht völlig von der Hand zu weisen. Sie mussten überlegt handeln, um Unheil von der Stadt abzuwenden.
»Ich wünschte, Ihr hättet dieses ungeheuerliche Gerücht nie hier ausgebreitet, Meister Jonas«, rügte der Bürgermeister den Schwarzschmied. »Besser, wir tun so, als wäre es uns nie zu Ohren gekommen. Graf Albrecht ist der rechtmäßige Erbe des Hauses Wettin. Wenn er verkündet, er sei nun der Fürst von Meißen, haben wir keinerlei Anlass, das zu bezweifeln. Damit können wir uns auch herauswinden, sollte Otto zurückkehren; Gott steh ihm bei.«
Er blickte die beiden Schmiede scharf an: »Falls es stimmt und Vater und Sohn in Fehde miteinander liegen – das geht uns nichts an!«
»Wirklich? Glaubt Ihr?«, fragte der alte Fuhrmann zweifelnd und kratzte sich am kahlen Kopf. Doch niemand antwortete ihm.
Der Bürgermeister sah in die Runde. »Wir halten uns also da raus. Sind wir uns darin einig?«
Es war ungewöhnlich still an diesem Tag in Marthes und Lukas’ Haus. Das lag nicht nur an den Sorgen, die sich seine Bewohner machten. Am Vormittag war überraschend Lukas’ Bruder Jakob aufgetaucht und hatte erklärt, er würde seinen Sohn nicht zurück nach Freiberg schicken. »Unter den neuen Verhältnissen ist mir das zu gefährlich. Ich will mich aus allem heraushalten. Aber du kannst mir deinen Sohn mitgeben. Bei mir ist er in Sicherheit.«
Lukas hatte nicht lange gezögert und den Siebenjährigen, der seinen Namen trug, mit Jakob fortgeschickt. So waren auf einen Schlag zwei seiner Söhne aus dem Haus – und hoffentlich außer Gefahr. Den kleinen Konrad hatte Marthe vorsichtshalber zu Emma gebracht, der Frau des Schmiedes Jonas. Das Lachen und Lärmen der Jungen vermisste sie umso mehr, als dass es sie vielleicht etwas von den Ängsten hätte ablenken können, die sie um Thomas, Daniel und Clara
Weitere Kostenlose Bücher