Der Fluch der Maorifrau
herzukommen?«
»Granny, hör zu. Ich bin neunzehn und kein Kind mehr. Ich möchte zu meinem Verlobten.«
Anna schnappte nach Luft: »Von wem in Teufels Namen sprichst du?«
»Tu doch nicht so! Du weißt, dass ich Manono meine. Er wird um meine Hand anhalten, und ich möchte dabei sein! Wo ist er überhaupt?«
»Niemals!«, erwiderte Anna drohend. »Und du wirst umgehend mit diesem Burschen zurückfahren. Was will der überhaupt hier?«
»Er will Maria heiraten. Und jetzt sag mir, wo ich Manono finde.«
»Kate, ich sage es zum letzten Mal: Fahr sofort nach Sogi zurück! Manono ist in seiner Hütte. Er hat Tag und Nacht durchgearbeitet und braucht seinen Schlaf.«
»Über meinen Besuch wird er sich bestimmt freuen!«, erwiderte Kate trotzig und baute sich kämpferisch vor ihrer Großmutter auf.
Da ertönte lautes Pferdegetrappel. Einheimische Polizisten ritten in den Hof.
Kate erschrak. Es waren dieselben, die vorhin im Dorf die Hütte gestürmt hatten. In holprigem Deutsch erkundigte der Anführer sich nach den Unterkünften der Pflanzer.
»Wozu wollt ihr das wissen?«, fragte Granny.
»Wir suchen einen Mauführer. Im Dorf hat man uns gesagt, dass er hier zu finden ist. Also, wo sind sie?«
Granny zog es vor zu schweigen, aber da preschten die vier Reiter bereits über die Plantage davon.
Kate brauchte nur einen Wimpernschlag, um zu begreifen, wen sie suchten. »Wo ist er?«, schrie sie.
Granny zeigte auf eine Hütte, deren Palmendach hinter den mächtigen Stämmen hervorlugte, und Kate rannte los. »Kind, bleib hier! Du wirst ihn nicht heiraten. Niemals. Lass ihn in Ruhe!«, schrie sie.
Außer Atem erreichte Kate den Eingang der Hütte. »Es sind Polizisten auf der Plantage. Sie suchen einen Mau. Wenn du es bist, lauf!«, keuchte sie. Nun hatte auch Anna japsend die Hütte erreicht.
»Großmutter, sie suchen ihn. Er muss fort!«, schrie Kate.
Manono blieb ganz ruhig. Mit einem einzigen Griff nahm er ein blau-weißes Tuch von seinem Lager, als die Polizisten die Hütte erstürmten. Einer zielte mit einem Gewehr auf Manono und rief in seiner Heimatsprache: »Er ist es. Das Zeichen. Er hat ihre Fahne in der Hand!«
Kate verstand ihn und machte einen Satz auf Manono zu. Sie baute sich vor ihm auf und brüllte: »Wenn ihr ihn erschießen wollt, müsst ihr erst mich töten!«, doch da stürzte sich Anna mit ausgebreiteten Armen vor die beiden und stieß einen unmenschlichen Schrei aus. Ein Schuss fiel, und Kate spürte nur noch einen stechenden Schmerz am Arm.
Ocean Grove, 2. Januar 2008
Sophie hatte in ihrer ersten Nacht in Pakeha unruhig geschlafen. Ein paarmal war sie schweißnass aus einem Traum aufgeschreckt, an den sie sich aber nicht mehr erinnerte. Die Angst um Kate saß ihr in allen Knochen.
Nach dem Aufwachen waren die nächtlichen Ängste jedoch wie weggeblasen. Kaum hatte sie die Augen geöffnet, wollte sie nach den Aufzeichnungen greifen. Doch eine innere Stimme riet ihr, sich Zeit zu lassen.
Als Erstes rief Sophie den Direktor ihrer Schule an. Er zeigte sich sehr verständnisvoll und versprach ihr, sich um eine Vertretung auf unbestimmte Zeit zu kümmern. Dann beschloss sie, sich mit frischen Lebensmitteln einzudecken. Sie hatte eine alte Regenjacke ihrer Mutter gefunden und wanderte, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, bis nach St Kilda. Dort mietete sie sich einen Wagen. Bei der Autovermietung ließ sie sich erklären, wo ein Lebensmittelgroßmarkt zu finden war.
Auf dem Weg dorthin konnte sie in letzter Sekunde den Zusammenstoß mit einem entgegenkommenden Fahrzeug gerade noch verhindern. Sophie war so tief in Gedanken versunken gewesen, dass sie die ersten Meter einfach vergessen hatte, links zu fahren. Nach dem Schrecken konzentrierte sie sich so sehr auf den Straßenverkehr, dass sie plötzlich einen schwarzen Range Rover in ihrem Rückspiegel bemerkte. Erst dachte sie, es sei John, weil er genauso einen Wagen fuhr. Doch John hätte sich längst zu erkennen gegeben. Der Mann trug eine Baseballkappe, die er tief ins Gesicht gezogen hatte, und eine Sonnenbrille.
Sophie verdrängte die aufkeimende Angst und beschleunigte. Im selben Moment erhöhte der Fahrer des Range Rover ebenfalls die Geschwindigkeit. Sophies Herz klopfte bis zum Hals, als sie das Tempo bewusst drosselte. Statt sie zu überholen, fiel der Rover hinter ihr zurück. Es gab keinen Zweifel: Der Fremde klebte förmlich an ihrer Stoßstange.
Schweißgebadet erreichte Sophie den Supermarkt, wo sie sich einen
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