Der Fluch der Maorifrau
die Schule. Es schien ihm nicht das Geringste auszumachen, dass sein Vater ihn dafür einsperrte und mit Nahrungsentzug bestrafte. Steven schlug ihn nicht mehr, aber Kate wusste: Die Nichtbeachtung traf Walter nicht weniger hart.
Immer häufiger trieb der Junge sich allein am Hafen herum. Manchmal wünschte ich mir, er würde auf einem der Schiffe anheuern und niemals wiederkommen, dachte Kate und schämte sich dafür. Sie fühlte sich als Versagerin. Fast vier Jahre waren vergangen, ohne dass es ihr gelungen wäre, ihm in irgendeiner Weise näherzukommen. Auch Bill John, der Walter anfangs bewundert hatte, zog sich immer mehr von seinem Cousin zurück. Er hatte andere Freunde.
Kate wandte sich wieder den Büchern zu. Es half alles nichts. Wenn sie weitermachen wollte, benötigte sie einen Kredit. Die Reserven waren aufgebraucht, und die Firma schrieb rote Zahlen. Heute würde sie ernsthaft mit Steven darüber reden müssen.
Niedergeschlagen schlug sie die Rechnungsbücher zu und ging nach Hause. Manchmal bedauerte sie es, dass sie gar nicht mehr am gesellschaftlichen Leben teilnahm, aber ihr blieb einfach keine Zeit dazu. Wenn sie nicht für die Plantage schuftete, dann kümmerte sie sich um die Kinder. Nicht ein einziges Bild hatte sie seit ihrer Ankunft gemalt.
Zu Hause ließ sich Kate erschöpft auf einen Stuhl fallen und ihren Blick einmal über den Hafen schweifen. Das war immer noch so bezaubernd schön wie eh und je. Wenn die Plantage nicht mehr zu retten ist, werde ich unseren Lebensunterhalt mit Malen verdienen, tröstete sie sich.
»Wo ist Onkel Steven?«, fragte sie ihren Sohn mit der Betonung auf »Onkel«. Sie wollte auf keinen Fall, dass er ihn »Daddy« nannte, wie Steven es gern hätte.
»Er ist zur Plantage gefahren, aber ich durfte nicht mit«, erklärte Bill John sichtlich schmollend.
»Und wo ist Walter?«
»Keine Ahnung!«
»Und Kea?« Kea war Brenners zweitjüngste Tochter, die inzwischen bei ihnen im Haushalt arbeitete. Kea war eine liebreizende Person, wenngleich sie nichts von Loanas exotischer Schönheit geerbt hatte. Mit ihren herben Gesichtszügen ähnelte sie eher ihrem Vater. Sie war hellhäutig und übergewichtig, aber der freundlichste Mensch, den sich Kate nur vorstellen konnte. Und Kea liebte und beschützte ihre bildschöne jüngere Schwester Sina wie eine Glucke ihr Küken.
»Sie ist mit zur Plantage gefahren, weil sie nach ihrem Vater und ihrer Schwester sehen möchte.«
»Das verstehe ich gut«, erwiderte Kate. »Und was machen wir? Soll ich uns etwas kochen?«
Bill John grinste: »Lieber nicht, Mom!«
Kate seufzte. Sie war keine gute Köchin. Sie tischte frische Früchte auf und versuchte sich ihre Existenzsorgen auf keinen Fall anmerken zu lassen.
Nachdem sie Bill John noch eine Gutenachtgeschichte vorgelesen hatte, richtete Kate sich auf eine ruhige Nacht ein. Wie sie Steven kannte, würde er sich auf der Plantage betrinken, seinen Rausch dort ausschlafen und erst morgen Mittag zurückkehren.
Mitten in der Nacht wurde Kate von einem polternden Geräusch geweckt. Als sie erfasste, dass jemand in ihrem Schlafzimmer war, spürte sie auch schon eine Hand auf dem Mund.
»Missis Kate, ich bin's, bitte erschrecken Sie nicht! Ich habe etwas Furchtbares getan.« Mit diesen Worten ließ Otto Brenner die Hand sinken.
Kate drehte sich abrupt zu ihm um. Im Mondlicht sah sie sein verzerrtes, aschfahles Gesicht.
»Was ist passiert?«, brachte sie heraus. Ihr war übel. Es roch nach Blut.
»Ich habe ihn erschlagen wie einen räudigen Hund. Wie einen räudigen Hund!«, stieß Brenner hervor und wiederholte es immerzu. Erst als Kate ihn bei den Schultern packte und schüttelte, hörte er damit auf.
»Wen haben Sie erschlagen?«
»Dieses Schwein!«, murmelte er. »Dieses besoffene Schwein!«
»Brenner, was ist passiert?«, brüllte Kate erneut. Das half.
»Ich hörte Kea schreien und bin zu ihrer Hütte gerannt. Sie schrie und jammerte zum Gotterbarmen: ›Sina, er hat Sina fortgeschleppt!‹ Ich hab mein Gewehr geholt und nach Sina gerufen. Da hörte ich jemanden wimmern. Ich schlich mich näher ran. Da sah ich meine Kleine. Sie lag im Gebüsch. Mit zerrissenem Kleid. Geschändet. Er schaute auf sie herab und höhnte betrunken: ›Dein Vater kommt nicht. Du gehörst mir!‹ Da habe ich ihm den Gewehrkolben von hinten auf den Kopf gehauen, bis er vor ihr zusammenbrach und in seinem Blut verreckt ist. Ich konnte sein Gesicht nicht sehen, aber das Gesicht meiner Tochter
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