Der Fluch des Florentiners
mächtigen Pfau, der sich ihr aufgeplustert und arrogant in den Weg stellte. Sein braunes Krönchen auf dem Kopf wippte mit jedem Schritt, den er ihr näher kam. Der im abendlichen Streiflicht metallisch schimmernde Hals und Körper waren das Schönste, was sie je in ihrem Leben gesehen hatte. Missmutig, mit abgehackt-vorsichtigen Tippelschritten kam er näher. Eiii … Ei ii … , krähte er seiner Verärgerung in den afrikanischen Himmel und entfaltete sein prächtiges Federkleid, das sich ihr als Barriere aus Tausenden blau-grün-weißer Pfauenaugen entgegenstellte. Marie-Claire lächelte.
» Ist ja schon gut, du eitler Pfau! Ich lass dich ja in Ruhe. Pass lieber auf, dass sich die Turmfalken da oben nicht deine Babys holen. «
Glücklich lächelnd ging sie einige Schritte zurück und wählte einen anderen Pfad durch das Urwaldgrün hin zu ihrem Zimmer. Ach, wie schön das Leben doch sein konnte! Hier, in diesem Paradies wollte sie bleiben. Hier hatte der Schöpfer seine farbenfrohsten Kreaturen und betörendsten Düfte geeint, um der Welt zu zeigen, zu welchen Wundern er in der Lage war.
Ja, hier wollte sie bleiben. Für immer. Sie wollte jeden Morgen vom Geklapper der Störche geweckt werden, wollte mit dem ersten Augenblick des frühen Tages durch die Fenster hindurch die Orangen und Zitronen, die Hibiskusblüten und Bougainvillen sehen und mit dem ersten tiefen Atemzug all das in sich aufnehmen, was diese Welt an Düften offerierte. Es war ein wundervoller Tag. In einem Palast wie in einem Märchen aus Tausendundeiner Nacht. Nur ihr Traumprinz schien heute äußerst missmutig zu sein. Er erwartete sie bereits im Schlafgemach, dessen seidige Vorhänge sich im Wind des Deckenventilators bewegten.
Wie immer am frühen Tag, bevor die Lakaien das Frühstück unter dem Baum nahe des Sees servierten, trug er ein schlichtes, knielanges Gewand. Er verzog sein Gesicht zu einer ungehaltenen Grimasse und ergriff sie an ihren Schultern.
» Marie-Claire! «
Marie-Claire de Vries wollte ihn barsch anfahren, ihn zurechtweisen, weil er ihre sanften Gedanken unterbrochen hatte, aber ihre Stimme versagte. Sie schaute ihn entsetzt an. Sanjays Augen funkelten bösartig. Verärgert versuchte sie, seine Hände von ihren Schultern abzuschütteln. Aber er verstärkte seinen Griff und schüttelte sie unwirsch.
» Jetzt wach doch endlich auf. Wir sind gleich da! «
Panisch richtete sich Marie-Claire auf. Angstgefühle überlagerten plötzlich ihre Bilder von Pfauen, Falken und farbenprächtigen Blumen. Verwirrt flog ihr Blick nach rechts, hin zu dem Fenster, durch das sie morgens die Schönheit des Tages in ihr Leben eindringen ließ, aber das Fenster war verschlossen, war mit grauem Plastik verdunkelt. Die Sonne über ihr war ungewöhnlich grell. Sie blinzelte hinein. Neonlicht blendete sie. Das Zwitschern der Vögel draußen im Patio des Palastes war einem penetranten Dröhnen gewichen. Sanjay sprach jetzt wieder sehr sanft und liebevoll mit ihr.
Seine Augen zeigten wieder das, was auch sie ihm mit ihren Augen sagte. Der Druck seiner Hände auf ihren Schultern ließ nach. Zärtlich streichelte er ihr über die Wange.
» Wach auf, Marie-Claire! Du hast geträumt! Wir werden gleich landen. «
Marie-Claire wollte nicht aufwachen. Störrisch presste sie die Augenlider zusammen wie ein Kind, das die erschreckende Wahrheit nicht sehen wollte. Erst jetzt spürte sie die Vibrationen um sie herum, registrierte das Rauschen der Klimaanlage und den Gurt um ihren Körper. Ihre Finger tasteten ihr näheres Umfeld ab. Was sie fühlte, war weiches, geschmeidiges Leder. Sie saß in einem Flugzeug! In einem kleinen mit sehr komfortablen Sitzen. In solch einem Flugzeug hatte sie noch nie gesessen. Sie wollte, dass es nicht stimmte, verwehrte sich der Realität. Wieso saß sie in einem Flugzeug? Sie wollte zurück, in den Palast – zu den Pfauen. Und zu den Falken. Zurück ins Paradies.
Aber der Traum war zu Ende. Es war der schönste Traum ihres Lebens gewesen. Aber es war ein Albtraum, weil sie wusste, dass es dieses Paradies, in dem sie sich im Schlaf wie eine Fee bewegt hatte, tatsächlich gab, sie aber nie wieder in ihrem Leben dorthin zurückkehren würde. Ja, sie war schon einmal dort gewesen, in dem ehemaligen Emirpalast in der Oasenstadt Taroudant, weit im Süden Marokkos, jenseits der Gipfel des Hohen Atlas. Vor vielen Jahren. Es gab diesen Palast, das jetzige Hotel Palais Salam! Salam – Friede! Sie suchte den Frieden, den
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