Der Fluch des Nebelgeistes 03 - Die Schiffe von Merior
Rückklappe hockte Arithon, bis auf die Haut durchnäßt, die Arme um die Knie gefaltet, um die Krämpfe im Zaum zu halten, die seinen Leib durchbohrten, und ertrug duldsam und ohne das geringste Wimmern die anhaltenden physischen Folgen seiner Aufführung der vergangenen Nacht. Der Wahnsinnige Prophet kannte die Auswirkungen der Zauberei gut genug, um zu wissen, wie sehr jedes Rütteln des Wagens sein Leiden verstärkte. Da jedoch jedes Übel zu Lasten des Mannes, der ihn hinter das Licht geführt hatte, nur zur Befriedigung von Dakars leidenschaftlicher Rachsucht dienen konnte, biß Arithon die Zähne zusammen und verkniff sich die Bitte um eine Ruhepause. Schon wegen Hallirons Wohlergehen würde der Wagen bald anhalten müssen. Sobald sie freies Gelände erreicht hatten, das ihnen jederzeit einen Fluchtweg offenhalten würde, würden sie ihr Lager aufschlagen.
Von der feuchten Witterung abgesehen, blieb das Wetter recht angenehm. Der Hochsommer schmückte die Wicken am Wegesrand mit Blütenquasten und fächerte die Spitzen der Grashalme zu Samenständen auf. Nachdem sie viel zu lange von den Mauern der Stadt eingeengt worden waren, kostete Arithon mit Genuß den regenschweren Wohlgeruch der Wiesenblumen, in den sich der scharfe Hauch immergrüner Gewächse mischte. Hin und wieder trug der Ostwind das salzige Aroma der See aus der Bucht herüber. Seines magischen Blickes beraubt, hatte sich Arithon daran gewöhnt, dem Tanz der Jahreszeiten anhand von Geräuschen zu folgen, also konzentrierte er sich darauf, dem Klang der Erde unter dem Knirschen der Wagenräder zu lauschen; zart hallten die Töne in dem warnenden Schrei der Kiebitze nach, begleiteten den klimpernden, wirren Flug des Ziegenmelkers. Mit geschlossenen Augen, allein durch sein Gehör, konnte er die Berührung von Himmel und Erde am Horizont erfassen, während die hochklingende, süße Harmonie der Sterne jenseits der Wolken ihr Glockenspiel gerade jenseits der Grenzen seines bewußten Wahrnehmungsvermögens aufführte.
Plötzlich richtete Dakar sich ruckartig auf und stieß wilde Verwünschungen aus.
Pfeifend spannten sich die Zügel in den Ringen des Geschirrs. Das Pony warf den Kopf zurück, und der Wagen blieb mit einem heftigen Ruck stehen. Dergestalt wieder der Belastung seiner übermäßig beanspruchten Nerven anheimgegeben, hob Arithon alarmiert den Kopf von seinen Knien, die er noch immer fest mit den Armen umschlossen hielt.
Doch die Patrouille, die er erwartet hatte, schien nicht zu existieren. Nirgends war das Donnern der Hufe gehetzter Pferde zu hören, so wenig wie die frohlockenden Schreie siegesgewisser Gardisten. Unscharf, vom steten Nebel verschleiert, lag die Straße gänzlich verlassen vor ihnen, belebt nur durch den Gesang der Laubfrösche und das Rascheln des Windes in dem regennassen Laub. Es schien alles seine Ordnung zu haben, sah man davon ab, daß das Pony den Kopf noch immer in den Nacken gelegt hatte. Schwarz traten die Spitzen seiner angelegten Ohren aus dem Gewirr seiner Mähnenhaare hervor.
»Mögen die Dämonen mich für meine weiche Birne bestrafen«, krittelte Dakar. »Mit nichts anderem hätte ich rechnen müssen.« Er schlug sich mit dem Zügel auf die Handfläche und fluchte noch mehr, als das durchfeuchtete Leder stechenden Schmerz hinterließ.
Arithon blinzelte und wischte sich die Regentropfen aus den Augen. Dann erblickte er auf der anderen Seite der Straße eine Gestalt in der Dunkelheit. Ein Reiter in einem Umhang erwartete sie mit der unerschütterlichen Geduld einer Statue. Dampfende Atemluft stieg auf, als das Pony wie zum Gruße wieherte, ehe es sich aus Dakars Griff zu befreien suchte und, auf der Stelle trampelnd, einen silbrigen Sprühregen unter seinen Hufen hervorbrachte.
Die schwarze Gestalt rührte sich noch immer nicht. Selbst das Pferd hätte gut und gern ein Phantom sein können, so still stand es am Wegesrand; bis die harschen Worte seines Reiters die Illusion zerstörten. »Folge mir mit dem Wagen. Ganz in der Nähe ist eine trockene Höhle, in der wir ein Feuer entfachen können, ohne daß der Rauch jemandem auffallen dürfte.«
Es war Asandirs Stimme.
Erleichtert schloß Arithon die Augen, Dakar hingegen schluckte furchtsam zitternd weitere Beschwerden hinunter und lockerte seinen verkrampften Griff um die Zügel des Ponys.
Der Zauberer führte sie von der Straße fort zu einem Bergüberhang. Der Boden, auf dem nun eine feuchte Schicht modernden Laubes lag, war von einem Rinnsal aus
Weitere Kostenlose Bücher
Eis und Dampf: Eine Steampunk-Anthologie (German Edition) Online Lesen
von
Mike Krzywik-Groß
,
Torsten Exter
,
Stefan Holzhauer
,
Henning Mützlitz
,
Christian Lange
,
Stefan Schweikert
,
Judith C. Vogt
,
André Wiesler
,
Ann-Kathrin Karschnick
,
Eevie Demirtel
,
Marcus Rauchfuß
,
Christian Vogt