Der Fluch des Sündenbuchs: Historischer Roman (German Edition)
Schiffs zu schlafen. Der Gestank unter Deck wurde mit jedem Tag schlimmer. Um Trinkwasser zu sparen, betrug die tägliche Ration für Waschwasser einen halben Becher voll. Die meisten Männer verwendeten auch dieses Wasser nicht zum Waschen, sondern tranken es, sofern es nicht verdorben war. Läuse und Wanzen wurden zu einer entsetzlichen Plage, gegen die man sich nicht wehren konnte. Zuerst wollte Jana ihr Kleid mit Meerwasser waschen, aber dann erinnerte sie sich daran, dass der gute Stoff im Salzwasser eingehen würde.
Rasch stellte sich heraus, dass weder Conrad noch Jana die Reise untätig auf dem Schiff verbringen konnten. Auf Grund der reduzierten Mannschaft wurde jede Arbeitskraft benötigt. Jana machte sich in der Küche, die sich im vorderen Teil des Schiffs befand, nützlich. Hier wurde auf einer offenen Feuerstelle das Essen gekocht. Direkt neben der Feuerstelle stand der Amboss für den Schiffszimmermann, der für alle Ausbesserungsarbeiten am Schiff zuständig war.
Das Essen war in genaue Tagesrationen eingeteilt. Der Proviantmeister, José Fermosa, kontrollierte die Vorräte und bestimmte die Menge der ausgegebenen Lebensmittel. Den größten Teil der Nahrung an Bord bildete der Schiffszwieback. Der füllte zwar den Magen, aber schon nach kurzer Zeit setzte das Hungergefühl wieder ein. Fermosa war ein ordnungs- und gerechtigkeitsliebender Mann, der sein ganzes Leben auf dem Meer verbracht hatte und schon als Junge mit seinem Vater zur See gefahren war. Er verfügte über ausreichend Erfahrung und hatte den Proviant klug zusammengestellt. Neben Nüssen, Rosinen, Linsen und Bohnen gab es auch Sauerkraut, getrocknete Äpfel und merkwürdige, mehlige Knollen, die Jana auf Gran Canaria das erste Mal in ihrem Leben gesehen hatte. Die Spanier hatten die Knolle aus der Neuen Welt mitgebracht. Im rohen Zustand war sie ungenießbar, aber gekocht füllte sie den Magen und machte satt. Jeder Mann erhielt täglich einen halben Liter Wasser und einen ganzen Liter Wein. Mehr Flüssigkeit gab es nicht. Jana fühlte sich ständig durstig. Ihre Zunge klebte am Gaumen, und sie sehnte sich nach einem ganzen Krug voll frischem, klarem Gebirgswasser.
Viel schlimmer als der Mannschaft erging es den zwanzig Sklaven, die aneinandergekettet im finsteren Lagerraum unter Deck lagen. Sie bekamen zweimal am Tag einen halbvollen Becher Wasser und eine winzige Schüssel Linsen oder Bohnen. Schon nach drei Tagen auf See waren zwei der Gefangenen gestorben. Kapitän Valdiva hatte die Leichen der Männer einfach über Bord werfen lassen, ohne einen Gottesdienst oder auch nur eine religiöse Zeremonie.
Jana lief bei der Erinnerung an die leblosen Körper, die rasch in den Wellen verschwunden waren, immer noch ein eisiger Schauer über den Rücken. Entschieden schüttelte sie den Kopf, um das grausige Bild zu verjagen, und richtete ihren Blick zum Großmast in der Mitte des Schiffs. Hoch oben in einer Art Korb saß Riccardo, der Schiffsjunge, den alle Rico nannten. Rico wusste selbst nicht genau, wie alt er war, seine Eltern hatte ihn im Hafen von Lissabon ausgesetzt, wo er zuerst bei einer Fischhändlerin und dann bei Kapitän Valdiva untergekommen war. Jana schätzte den Jungen auf etwa zehn Jahre. Aber er wirkte deutlich älter. Das Leben auf dem Schiff hatte ihn gezwungen, rasch erwachsen zu werden. Rico war ein ängstlicher Bursche, der in gebeugter Haltung übers Schiff lief und ständig den Launen der älteren Matrosen ausgesetzt war, die ihn nach Lust und Laune ohrfeigten. Sein Glück war seine schöne Singstimme. Damit konnte er abends die Mannschaft erfreuen und war für einige Stunden vor den Fußtritten der anderen sicher.
Für gewöhnlich war es Ricos Aufgabe, gemeinsam mit Jana zu kochen. Aber da er erst beim letzten Stundenglas in den Mast geklettert war, musste Jana die Aufgabe heute allein übernehmen. Das Leben an Bord war nach den Einheiten eines Stundenglases eingeteilt. Es dauerte eine halbe Stunde, bis der Sand von einem Glasbehälter in den anderen rieselte. Danach wurde wieder umgedreht. Jeden Mittag begann die Zeitmessung neu, damit keine Ungerechtigkeiten entstanden.
Jana blickte sich suchend um. Wo war Conrad? Als sie ihn das letzte Mal gesehen hatte, hatte er mit einem der Matrosen am Heck gestanden und sich erklären lassen, wie man die Geschwindigkeit des Schiffs maß. Fasziniert hatte er das Log, ein Holzscheit an einer Leine, ins Meer geworfen und die Leine mit den Knoten durch seine Hände laufen
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