Der Fluch des Verächters - Covenant 01
Lippen war auch der letzte Tropfen Blut gewichen. In ihre Miene war das ganze Ausmaß ihrer persönlichen Kränkung eingegraben, die sie nur durch reine Willenskraft unterdrückte, und ebenso der Schaden, den sie sich mit diesem Gewaltakt zufügte. Endlich erkannte Covenant den moralischen Konflikt, der sie zu verzehren drohte, mit aller Deutlichkeit, den dreifachen Gegensatz zwischen ihrem Abscheu vor ihm, ihrer Furcht um das Land und dem Kummer über ihre Schwäche – eine Auseinandersetzung, deren Härte alle ihre Kräfte erschöpfte, sie schier dahinraffte. Der Anblick erfüllte sein Herz mit Scham, und er schaute zu Boden. Ohne nachzudenken, streckte er eine Hand nach ihr aus; seine Stimme hatte den Tonfall widerwilliger Flehentlichkeit: »Gib nicht auf.«
»Aufgeben?!« keuchte sie bösartig und wich vor ihm zurück. »Gäbe ich auf, ich erstäche dich hier an Ort und Stelle!« Plötzlich schob sie eine Hand unter ihr Gewand und riß ein Steinmesser heraus, das jenem glich, welches Covenant verloren hatte. Sie hielt es empor. »Seit dem Frühlingsfest«, knirschte sie ihn an, »seit du die Geister Andelains hast sterben lassen, hat diese Klinge nach deinem Blut gelechzt. Andere Verbrechen konnte ich vorerst übersehen. Das war allein meine Sache. Aber das ...! Eine solche Entweihung zu dulden ...!« Sie schleuderte das Messer abwärts, so daß es sich zu Covenants Füßen bis an den Griff ins Gras bohrte. »Sieh da!« schrie sie, doch schon im nächsten Moment klang ihre Stimme unvermittelt wieder gedämpft und ruhig. »Statt in dich steche ich das Messer in die Erde. Doch das vereint sich gut mit allem, was bisher geschah. Seit du das Land betreten hast, habe ich kaum etwas anderes getan, als an der Erde zu sündigen. Nun vernimm meine Abschiedsworte, Zweifler. Ich lasse dich ziehen, weil Entscheidungen gefällt werden müssen und bevorstehen, die außerhalb meiner Fähigkeiten stehen. Im Steinhausen Kinder zu entbinden, das macht mich dafür nicht geeignet. Und ich will mein Trachten nicht der Hoffnung des Landes in den Weg legen, wie aussichtslos diese Hoffnung auch sein mag. Denke stets daran, daß ich meine Hand gebändigt habe ... meinen Friedensschwur gehalten.«
»Hast du das wirklich?« fragte er, dazu bewogen von einer verwickelten Anwandlung von Mitleid und Wut.
Sie wies mit einem zittrigen Finger auf ihr Messer. »Ich habe dir kein Leid zugefügt. Du bist unversehrt bis an diese Stelle gelangt.«
»Du hast dir selbst ein Leid angetan.«
»Mein Friedensschwur läßt nichts anderes zu«, entgegnete sie schroff. »Und nun leb wohl. Falls du wohlbehalten in deine eigene Welt zurückkehrst, erinnere dich daran, was das Böse ist.« Er wollte ihr widersprechen, eine Diskussion mit ihr anfangen, aber ihr Gefühlsausbruch war stärker als er, so daß er vor ihrer Heftigkeit stumm blieb. Unter ihrem festen Blick bückte er sich und zog das Messer aus dem Gras. Es ließ sich leicht herauslösen. Halb erwartete er, aus dem Einstich im Erdreich werde Blut quellen, aber das dichte Gras schloß sich darüber, verbarg ihn so vollkommen wie ein Mantel der Barmherzigkeit. Unbewußt prüfte er mit dem Daumen die Klinge, ertastete ihre Makellosigkeit. Als er aufblickte, sah er, daß Atiaran den Hügel erklomm, sich in der ungleichen Gangart eines Krüppels entfernte. So ist das nicht richtig! schäumte er insgeheim hinter ihrem Rücken. Hab doch Nachsicht ... Erbarmen! Aber der Schmerz, den ihre Entsagung ihm bereitete, machte seine Zunge schwer; er konnte nicht sprechen. Vergib wenigstens dir selbst. Die Straffheit seines Gesichts vermittelte ihm den peinlichen Eindruck, daß er grinse. Atiaran! stöhnte er innerlich. Warum bist du so unzugänglich? Während er seine Qualen ausbadete, drang die leise Stimme des Riesen an sein Ohr. »Wollen wir aufbrechen?«
Verdutzt nickte Covenant. Er wandte seinen Blick von Atiarans Rücken ab, der hangaufwärts entschwand, und schob sich das Messer in den Gürtel. Salzherz Schaumfolger winkte ihm, er möge ins Boot steigen. Als sich Covenant übers Dollbord geschwungen und einen Platz auf einer Ruderbank im Bug eingenommen hatte – der einzigen Sitzgelegenheit im acht Meter langen Boot, die für ihn klein genug war –, kam auch der Riese an Bord und stieß das Gefährt dabei vom Ufer ab. Sofort begab er sich ins breite, flache Heck. Er bezog dort wieder Aufstellung und ergriff die Ruderpinne. Ein Zustrom von Kraft schien das Gefährt zu durchfließen. Der Riese lenkte es
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