Der Fluch des Verächters - Covenant 01
eine herbe Enttäuschung für mich. Unsere Flußfahrt ist nicht leicht, und ich hatte gehofft, du könntest mit einer Geschichte über die vielen Längenmaße hinweghelfen. Doch lassen wir's hiermit bewenden. Ich sehe dir an, daß du ohnehin keine frohen Geschichten zu erzählen hättest. Wütriche! Wegwahrer und Geister Andelains gemordet! Aber manches davon überrascht mich nicht ... unsere Alten haben oft vermutet, daß Seelenpresser nicht so anstandslos sterben werde, wie der arme Kevin hoffte. Stein und See! All diese Schändung, Verheerung und Verwüstung ... aufgrund einer falschen Hoffnung! Doch wir haben ein Sprichwort, das tröstet unsere Kinder – wie wenige sie auch sein mögen –, wenn sie um unser altes Reich weinen, unsere Heimat, die Einheit mit unserem Volk, was alles wir verloren haben ... wir sagen: Freude ist in den Ohren, die hören, nicht im Mund, der spricht. Die Welt kennt kaum Geschichten, die eigenen Frohsinn aufweisen, und so müssen unsere Ohren voller Frohsinn sein, um dem Bösen mit Trotz zu begegnen. Gepriesen sei der Schöpfer! Der alte Lord Damelon Riesenfreund kannte den Wert eines anständigen Lachens. Als wir das Land betraten, waren wir zu tief voller Kummer, um für unser Recht auf Leben zu kämpfen.« Ein anständiges Leben , dachte Covenant. Habe ich in so kurzer Zeit für ein ganzes Leben gelacht? »Ihr Menschen seid ein ungeduldiges Volk, Thomas Covenant. Hältst du mich für geschwätzig? Aber das ist nicht im mindesten der Fall – ich bin in aller Eile zur Sache gekommen. Da du das Geschichtenerzählen aufgegeben hast und anscheinend keiner von uns beiden froh genug gesinnt ist, um einen Bericht über deine Abenteuer ertragen zu können ... nun, dann werde wohl ich mich ans Erzählen machen müssen. Geschichten enthalten Macht – Wiedergeburt des Herzens und Erneuerung der Kräfte gehen von ihnen aus –, und selbst Riesen bedürfen der Stärkung, wenn sie vor solchen Aufgaben wie meiner stehen.«
Er verstummte, aber Covenant wünschte kein Schweigen, die Stimme des Riesen schien das Rauschen der Fluten beiderseits des Boots zu einem Lautgewebe zu verflechten, das einen beruhigenden Einfluß ausübte. »Erzähle«, sagte er in das entstandene Schweigen.
»Aha«, meinte Schaumfolger, »das war gar nicht so übel. Trotz allem erholst du dich allmählich, Thomas Covenant. Wohlan, stimme deine Ohren freudig, lausche mir frohen Mutes, denn ich bin kein Verbreiter von Traurigkeit – doch schrecken wir Riesen nicht vor harten Tatsachen zurück, wenn's ans Handeln geht. Ersuchtest du mich, deinen Weg nach rückwärts zu beschreiten, ich erfragte von dir jede Einzelheit deiner Reise, ehe ich drei Schritte zwischen die Hügel täte. Es ist gefährlich, einen Weg zurück zu beschreiten, oftmals verliert man die Möglichkeit zur Wiederkehr ... der Weg ist unkenntlich geworden, oder der Reisende hat sich verändert, alles ist hoffnungslos unwiederbringlich dahin. Aber du mußt wissen, Thomas Covenant, daß es gewöhnlich eine Sache von äußerster Besonnenheit ist, eine Geschichte auszuwählen. Die alte Riesensprache kennt einen wahren Hort an Geschichten, und für manche braucht man Tage, um sie zu erzählen. Als Kind hörte ich einmal die Geschichte von Bahgoon dem Ungezogenen und Thelma Zweifaust, die ihn bändigte, dreimal hintereinander – zwar eine Geschichte, die das Gelächter verdient, das sie erregt, aber ehe ich mich's versah, waren neun Tage verstrichen. Allerdings beherrschst du ja nicht unsere Riesensprache, und eine Übertragung ist eine langwierige Angelegenheit, auch für Riesen, und infolgedessen wird mir die Schwierigkeit der Wahl ein wenig erleichtert. Dennoch umfaßt das Wissen um unser Dasein an der Wasserkante, seit unsere Schiffe das Land erreichten, viele, sehr viele Geschichten, Erzählungen aus der Zeit, als Damelon Riesenfreund, Lorik Übelzwinger und Kevin, den man nun den Landschmeißer nennt, übers Land herrschten, Erzählungen vom Bau Schwelgensteins, wie man es aus dem Berg hieb, den ehrwürdigen Felsen, ›ein Handabdruck der Freundschaft und Treue im ewigen Stein der Zeit‹, wie es einst Kevin hieß, dem gewaltigsten Werk, das die Riesen jemals im Lande verrichteten, ein Tempel, den unser Volk ansehen und sich daran erinnern kann, was es zu leisten imstande ist ... Geschichten über die Reise, welche uns vor der Schändung bewahrte, und von dem vielfachen Heil, das die neuen Lords dem Lande brachten. Doch wird mir die Auswahl weiter dadurch
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