Der Fluch des Verächters - Covenant 01
unverzüglich auf. »Geh voran«, sagte er zu Mhoram.
Der Lord verneigte sich zur Zustimmung und geleitete Covenant ohne weitere Umstände auf den Gang vorm Quartier. Dort trafen sie Bannor an. Er stand in der Nähe der Tür an die Wand gelehnt, die Arme in unerschütterlichem Gleichmut überm Brustkorb verschränkt, aber er gesellte sich, als Mhoram und Covenant den Gang betraten, zu ihnen. Covenant stellte sich ihm spontan in den Weg. Er erwiderte Bannors Blick und setzte dem Bluthüter einen starr ausgestreckten Finger auf die Brust. »Ich traue dir auch nicht«, sagte er; dann wandte er sich mit grimmiger Befriedigung wieder dem Lord zu. Mhoram wartete, während Bannor aus Covenants Unterkunft eine der Fackeln holte. Dann bezog der Bluthüter einen Schritt hinter Covenants linker Schulter Stellung, und Lord Mhoram strebte voraus durch den Gang. Bald war Covenant wieder vollkommen desorientiert; die Vielseitigkeit im Innern des Turms verwirrte ihn so schnell, als befände er sich in einem Irrgarten. Nach kurzer Zeit gelangten sie in einen Flur, der wie eine Sackgasse vor einer steinernen Wand zu enden schien; Mhoram jedoch tippte mit einem Ende seines Stabs an den Stein, und die Wand schwang einwärts, gab den Blick auf den Hof zwischen dem Turm und der Festungsstadt frei. Von dieser Tür führte ein hölzerner Übergang hinüber zu einem befestigten Erker. Covenant warf nur einen flüchtigen Blick in den Abgrund, der vor ihm klaffte, und wich zurück. »Nein«, nuschelte er, »lieber nicht. Ich bleibe doch lieber hier, wenn's niemandem etwas ausmacht.« Blut stieg ihm ins Gesicht, als besäße er wirklich einen Grund zur Scham, und ein Rinnsal von kaltem Schweiß sickerte ihm aus dem Nacken den Rücken hinab. »In solchen Höhen komme ich nicht klar.«
Der Lord betrachtete ihn einen Moment lang verwundert, äußerte sich jedoch nicht zu seinem Verhalten. »Nun gut«, sagte er bloß, »dann nehmen wir einen anderen Weg.« Erleichtert, aber schweißüberströmt, folgte Covenant Mhoram, während der Lord auf dem Weg, den sie bis dahin beschritten hatten, eine gewisse Strecke weit zurückkehrte, dann umständlich zu einer der Pforten zum Hof hinunterstieg. Von dort aus überquerten sie den Hof. Dann betrat Covenant erstmals die Festungsstadt Schwelgenstein. Das Innere war hell durch Fackeln und Glutgestein erleuchtet. Die Wände waren auch für Riesen hoch genug, die Korridore ausreichend breit, und die allgemeine Geräumigkeit stand in merklichem Gegensatz zur Enge im Turm. Inmitten von soviel prächtig bearbeitetem, klotzigem, erhabenem Granit, unter einem solchen Gewicht von Berggestein, das so weite, helle Hallen überwölbte, kam ihm mit äußerst lästiger Klarheit der Sachverhalt seiner eigenen Mickrigkeit, seiner Schwäche und Sterblichkeit zu Bewußtsein. Von neuem hatte er das Gefühl, daß die Erbauer Schwelgensteins ihm weit überlegen gewesen waren; im Vergleich zu ihm selbst erweckten Mhoram und Bannor zwischen diesen Felsen durchaus keinen zwergenhaften Eindruck. Der Lord strebte vorwärts, als seien diese Flure sein natürliches Element, als erblühe seine schlichte menschliche Haut im Dienste dieser uralten Großmächtigkeit erst so richtig. Und Bannors persönliche Festigkeit schien sich noch zu verdichten, als trage er innerlich etwas mit, das ganz gut an Schwelgensteins Dauerhaftigkeit heranreichte.
Zwischen ihnen fühlte sich Covenant halb entstofflicht, als fehle es ihm an irgendeiner Grundsubstanz, um wirklich materiell sein zu können. Ein Zähnefletschen verzerrte seinen Mund, und er zog die Schultern ein, als er diese Gedanken verscheuchte. Mit einer unerhörten Anstrengung zwang er sich dazu, sein Interesse den äußeren Details der Umgebung zu widmen. Sie schritten einen weiträumigen Flur entlang, der – von lediglich graduellen Unregelmäßigkeiten abgesehen, die allerdings eher wirkten, als seien sie der Rücksicht auf das Gefüge zu verdanken – glatt und geradeaus direkt ins Herz des Berges führte. In unregelmäßigen Abständen zweigten davon schmalere Korridore ab, wovon manche durch den ganzen Berg verliefen, von der einen zur jenseitigen Klippe, andere jedoch nur den zentralen Flur mit am Rande gelegenen Gebieten verbanden. Aus diesen Korridoren strömten immer dichter zahlreiche Männer und Frauen in den Hauptflur, alle in der Absicht, vermutete Covenant, dem Abendgebet beizuwohnen. Manche trugen die Brustpanzer und Stirnbänder von Kriegern, andere die typischen Gewänder
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