Der Fluch des Verächters - Covenant 01
Zweifel hegte, empfand Prothalls Entschlossenheit und Würde so stark, daß er schwieg. Dann erhoben sich Mhoram und Osondrea, und Schaumfolger folgte sofort; danach stand die ganze Versammlung auf. Alle drehten sich Hoch-Lord Prothall zu, und Osondrea hob ihre Stimme, um »Melenkurion!« zu rufen. »Die Himmelswehr wache über dich, Hoch-Lord. Melenkurion abatha! Bewahre und vermehre! Saat und Stein, möge dein Sinnen Früchte tragen. Laß dich von nichts Bösem blenden, von keinem Übel behelligen, laß weder Furcht noch Schwäche, weder Ruhe noch Freude oder Schmerz den Gram ums Unrecht mildern. Feigheit ist unverzeihlich, Verderbtheit nicht wiedergutzumachen. Himmelswehr, wache! Erdwurzel, erstarke! Melenkurion abatha! Minas mill khabaal! «
Prothall neigte den Kopf, und die übrigen Lords sowie sämtliche Zuschauer entboten ihm einen einmütigen Gruß, indem sie die Arme wie zum gleichzeitigen Segen ausstreckten. Dann begannen die Anwesenden langsam die Klause zu räumen. Unterdessen entfernten sich Prothall, Mhoram und Osondrea durch ihre gesonderten Portale.
Sobald die Lords gegangen waren, gesellte sich Schaumfolger zu Covenant, und sie erklommen gemeinsam die Stufen; Bannor und Korik schlossen sich ihnen an. Außerhalb der Klause zögerte Schaumfolger, überlegte einen Augenblick lang. »Mein Freund«, wandte er sich dann an Covenant, »willst du mir eine Frage beantworten?«
»Du glaubst, ich hätte etwas zu verbergen und es folglich verschwiegen?«
»Was das anbetrifft, wer kann's wissen? Die märchenhaften Elohim kannten folgendes Sprichwort: ›Das Herz liebt Geheimnisse, die nicht der Rede wert sind.‹ Ach, sie waren ein lustiges Völkchen! Aber ...«
»Nein«, unterbrach ihn Covenant. »Ich bin jetzt genug ausgefragt worden.« Er machte Anstalten, sich auf den Weg zu seinem Quartier zu begeben.
»Aber du hast meine Frage ja noch gar nicht gehört.«
Covenant drehte sich um. »Wozu auch? Du wolltest mich fragen, was Atiaran eigentlich gegen mich hatte.«
»Nein, mein Freund«, entgegnete Schaumfolger und lachte leise auf. »Laß dein Herz dies Geheimnis bis ans Ende der Zeit hüten. Meine Frage lautet anders. Welche Träume hattest du, seit du dich im Land aufhältst? Was hast du in jener Nacht in meinem Boot geträumt?«
Covenant antwortete regelrecht impulsiv. »Eine Anzahl von Menschen meiner Welt – wirkliche Menschen – erbrach lauter Blut auf mich. Und einer von ihnen sagte: ›Es gibt nur eine gute Antwort auf den Tod.‹«
»Nur eine? Was ist das für eine Antwort?«
»Man kehre ihm den Rücken zu«, gab Covenant unwirsch zur Antwort und entfernte sich den Korridor hinab. »Man stoße ihn aus.« Schaumfolgers gutmütiges Gelächter hallte in seinen Ohren, aber er schritt rasch weiter, bis er den Riesen nicht länger hörte. Danach erst versuchte er, sich auf den Weg zu seinem Quartier zu besinnen. Mit einiger Beihilfe von Bannors Seite fand er die Suite und schloß sich darin ein, ließ sich nur genug Zeit, um eine einzige Fackel zu entzünden, ehe er dem Bluthüter die Tür vor der Nase zuschlug. Er stellte fest, daß während seiner Abwesenheit irgend jemand gegen den greulichen Mondschein die Fensterläden geschlossen hatte. In einer perversen Anwandlung riß er einen Fensterladen wieder auf. Aber die Rotfärbung wirkte auf seine Augen so, wie der Gestank eines Kadavers auf seine Nase gewirkt hätte, und er knallte den Laden zurück vors Fenster. Anschließend ging er für lange Zeit auf und nieder, mit seinen inneren Konflikten beschäftigt, bis die Müdigkeit ihn überkam und er sich schließlich ins Bett legte.
Als der Morgen heranrückte und Bannor ihn wach rüttelte, zeigte er sich störrisch. Er wollte weiterschlafen, als könne er in diesem Schlaf Erlösung finden. Undeutlich erinnerte er sich daran, daß er heute eine noch viel gefährlichere als die bereits durchgestandene Reise antreten sollte, und sein verdrossenes Gemüt lehnte sich auf.
»Komm!« drängte ihn Bannor beharrlich. »Wenn wir uns verspäten, werden wir die Berufung der Ranyhyn versäumen.«
»Fahr zur Hölle!« nuschelte Covenant. »Schläfst du denn nie?«
»Die Bluthüter schlafen nicht.«
»Was?«
»Seit die Haruchai ihren Eid schworen, hat kein Bluthüter jemals geschlafen.«
Mühevoll setzte sich Covenant auf. Für einen Moment starrte er den Bluthüter triefäugig an. »Ihr seid bereits in der Hölle«, meinte er leise.
Die fremdartige Ausdruckslosigkeit von Bannors Stimme erlitt keine
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