Der Fluch des Verächters - Covenant 01
darin nichts als Grausamkeit.«
Covenant setzte sich auf und schob die Decken zur Seite. »Lepra ist nicht unbedingt grausam.« Offenbar war das Thema für ihn zwangsläufig mit Beschämung verbunden. Während er davon sprach, konnte er Schaumfolgers Blick nicht standhalten. »Entweder kommt man daran durch einen winzigen Zufall ... oder als ›gerechten Lohn‹. Wäre sie grausam, sie träte häufiger auf.«
»Häufiger?«
»Sicher. Wäre Lepra ein Akt der Grausamkeit – begangen von Gott oder durch wen oder was auch immer –, sie wäre weniger selten. Warum mit einigen tausend jämmerlichen Opfern zufrieden sein, wenn es ein paar Millionen geben könnte?«
»Zufall«, wiederholte Schaumfolger leise. »Gerecht. Mein Freund, du verwirrst mich. Du sprichst in solcher Hast. Vielleicht hat der Verächter deiner Welt nur begrenzte Kräfte, um sich gegen ihren Schöpfer zu stellen.«
»Vielleicht. Aber ich bezweifle, daß es in meiner Welt auf diese Weise zugeht.«
»Doch du hast gesagt – oder nicht? –, Leprakranke seien überall anzutreffen.«
»Das war ein Witz. Oder eine Metapher.« Wieder unterbrach Covenant einen Versuch, um seinen Sarkasmus in Humor umzumünzen. »Ich kann selbst nie richtig den Unterschied sehen.«
Schaumfolger musterte ihn lange. »Mein Freund«, fragte er dann bedächtig, »treibst du Scherz?«
Covenant erwiderte den Blick des Riesen mit sardonisch gerunzelter Stirn. »Anscheinend nicht.«
»Ich verstehe deine Stimmung nicht.«
»Mach dir darum keine Sorgen.« Covenant nutzte diese Gelegenheit, um einer Weiterführung der Unterhaltung auszuweichen. »Laß uns was Eßbares auftreiben. Ich bin hungrig.«
Zu seiner Erleichterung fing Schaumfolger leise zu lachen an. »Ach, Thomas Covenant«, prustete er, »erinnerst du dich an unsere Flußfahrt zur Herrenhöh? Es sieht ganz so aus, als sei an meiner Ernsthaftigkeit etwas, das dich hungrig macht.« Er griff neben sich und brachte ein Tablett mit Brot, Käse, Obst und einer Flasche voller Frühjahrswein zum Vorschein. Und er lachte still weiter vor sich hin, während sich Covenant auf das Essen stürzte. Eine Zeitlang aß Covenant bloß und war völlig davon beansprucht, bevor er sich umzuschauen begann. Da bemerkte er verblüfft, daß die Höhle geradezu von Blumen überquoll. Überall lagen Kränze und Gebinde, als hätte jeder Rame über Nacht einen kleinen Garten angelegt, üppig bepflanzt mit weißer Akelei und Grünzeug. Das Weiß und Grün linderten den freudlosen Charakter von Menschenheim ganz erheblich, verhüllten den Stein wie ein elegantes Kleid.
»Bist du überrascht?« fragte Schaumfolger. »Diese Blumen sind dir zu Ehren hier. Viele Ramen sind die ganze Nacht lang umhergestreift, um diese Pflanzen zu sammeln. Du hast an die Herzen der Ranyhyn gerührt, und das hat die Ramen in Staunen versetzt ... und durchaus nicht verdrossen. Für sie ist ein Wunder geschehen – acht Dutzend Ranyhyn haben sich einem Mann angeboten. Ein solches Erlebnis würden die Ramen nicht einmal gegen Andelain selbst eintauschen, glaube ich. Folglich haben sie dir zum Ausgleich an Ehre erwiesen, soviel in ihrer Macht steht.« Ehre? hallte es in Covenants Schädel wider. Der Riese rückte sich bequemer zurecht. »Es ist bedauerlich«, sagte er in einem Ton, als begänne er eine längere Geschichte, »daß du nicht vor der Schändung ins Land gekommen bist. Damals hätten die Ramen dir genug Ehren zuteil werden lassen, um dich für dein ganzes Leben zu beschämen. In jener Zeit stand es besser um alle Dinge, aber selbst unter den Lords gab's wenig Schönheit, die mit der großartigen Kunstfertigkeit der Ramen vergleichbar gewesen wäre. ›Markkneten‹, so nannten sie sie – anundivian jajña in der Sprache der Alt-Lords. Es war Bein-Bildwerkerei. Aus Skeletten, die sie in den Ebenen von Ra fanden, gesäubert durch Aasfresser und die Zeit, machten die Ramen Bildnisse von seltener Wahrhaftigkeit und Freudenfülle. Unter ihren Händen – und der Kraft ihrer Lieder – verformten sich die Knochen und verflossen, als seien sie Lehm, und man knetete sie zu den bemerkenswertesten Gebilden, so daß die Ramen aus dem weißen Kern vergangenen Lebens Wahrzeichen für die Lebenden schufen. Ich selbst habe nie solche Kunstwerke sehen dürfen, aber die Riesen bewahren die Geschichte, welche von ihnen Kunde gibt. In der Auflösung und dem Niedergang nach der Schändung, der Zeit des Hungers, Verbergens und der Heimatlosigkeit, welche viele
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