Der Fluch des Verächters - Covenant 01
wieviel schlimmer sie selbst an Kevins Stelle versagt hätte. Gleich darauf riß sie sich mit einem Ruck zusammen und stand auf. »Es läßt sich nicht ändern«, sagte sie. »Unser Pfad liegt viele Längenmaße weit unter des Kevinsblicks Schatten. Wir müssen weiter.« Sie ließ sich durch Covenants Aufstöhnen nicht beirren. »Komm! Wir können es nicht wagen zu zaudern, denn sonst müßten wir befürchten, am Ende zu spät zu kommen. Aber die Strecke wird nun leichter. Und wenn es deinen Schritt beflügelt, will ich dir jetzt vom Land erzählen.«
»Werden wir noch verfolgt?« fragte Covenant, als er sich seines Bündels bemächtigte.
»Ich weiß es nicht. Ich habe weder irgendwelche Anzeichen gesehen noch gehört. Aber mein Herz widerspricht mir. Ich spüre, daß ein Dunkel unseren heutigen Tagesmarsch behelligt.«
Covenant hängte sich das Bündel über die Schulter und erhob sich unter Knurren und Ächzen. Auch sein Herz machte Schwierigkeiten, allerdings aus anderen Gründen. Hier unterm Kevinsblick klang der Wind wie das entfernte Schlagen von Geierschwingen. Er rückte den Gurt seines Bündels auf seinen geplagten Schultern zurecht, beugte sich unterm Gewicht und stieg mit Atiaran hinunter auf den Grund des Hohlwegs. Der Einschnitt verlief im wesentlichen gerade und besaß in der Tat einen vorwiegend ebenen Untergrund, aber er war nirgends mehr als fünf Meter breit. Neben dem Bächlein war jedoch immer so viel Raum, daß Atiaran und Covenant Seite an Seite wandern konnten. Während sie weiterzogen, unterwegs an jedem Aliantha -Strauch hielten, um ein paar Beeren zu pflücken und zu essen, füllte Atiaran umrißhaft einige der weißen Flecken in Covenants Wissen übers Land aus.
»Es ist schwierig, sich auf eine Art und Weise zu besinnen, wie man davon sprechen soll«, begann sie. »Alles ist ein Teil von allem, und jede Frage, die ich beantworten kann, führt zu drei anderen Fragen, welche ich nicht zu beantworten vermag. Meine Kenntnisse sind auf das beschränkt, was man an der Schule lernt. Doch ich will dir mitteilen, was ich weiß. Der Sohn von Berek, dem Herz der Heimat, war Damelon Riesenfreund, und dessen Sohn war Lorik Übelzwinger, der sich der Bedrohung durch die Dämondim entgegenstellte und ihre Macht zerschlug.« Beim Sprechen nahm ihre Stimme eine Tonlage an, die Covenant an ihren Gesang erinnerte; sie reihte keine trockenen Tatsachen aneinander, sondern erzählte eine Geschichte, die für sie und für das Land eine einzigartige Bedeutung besaß. »Und Kevin, den wir mehr aus Mitleid denn zur Verurteilung seiner Tat der Verzweiflung Landschmeißer nennen, war Loriks Sohn und an seines Vaters Stelle Hoch-Lord geworden, als es darum ging, den Stab des Gesetzes weiterzureichen. Tausend Jahre lang stand Kevin an der Spitze des Großrats der Lords, und er verhalf der Erdfreundschaft der Lords zu einer Wirkung und einem Ansehen, wie man sie bis dahin im Lande nicht gekannt hatte, so daß man ihm große Ehren erwies. In seinen frühen Jahren war er gleichermaßen weise wie mächtig und reich an Wissen. Als er die ersten Anzeichen dafür bemerkte, daß der Vergangenheit Schatten noch lebte, blickte er weit voraus in die Stromschnellen der Zeit, und was er sah, war ihm Anlaß zur Besorgnis. Daher faßte er all seine Kenntnisse in den Sieben Kreisen des Wissens zusammen, dessen Gesamtheit man heute Kevins Lehre nennt und die mit den Worten beginnt:
›Sieben Kreise von uralter Kunde
Hüten Land und Haus zu jeder Stunde ...‹
und bewahrte sie im Verborgenen, auf daß sie nicht verloren wären und dem Lande abhanden kämen, selbst wenn er und die Alt-Lords stürzen sollten. Für viele, viele lange Jahre lebte das Land noch im Frieden. Doch während dieser Zeit schlich der Graue Schlächter in Gestalt eines Freundes herauf. Auf irgendeine Weise waren Kevins Augen blind, und er behandelte seinen Erzfeind wie einen Freund und Lord. Und aus dieser Ursache verschwanden die Lords und all ihre Werke vom Erdkreis. Doch als aus Kevins Scheitern Niederlage, Schändung und Trostlosigkeit entstanden waren, das Land für die Dauer vieler Geschlechter unter der Übelgewalt geschmachtet und wieder zu heilen begonnen hatte, da rief es die Menschen, die versteckt in den Einöden und den Nordlandhöhen hausten. Langsam kehrten sie zurück. Indem die Jahre verstrichen, als die Häuser und Dörfer wieder als sicher galten, begannen Menschen umherzuziehen, auf der Suche nach Legenden, deren sie sich nur noch
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