Der Fluch des Verächters - Covenant 01
imstande, dieser Bedrängung zu begegnen als zum Antworten auf Atiarans Tonfall. Für eine ganze Weile schauderte er immer wieder zusammen, als widerstrebe ihm jede Art von Traum, die einem Menschenkind in seiner erbärmlichen Lage kommen konnte, aber endlich sank er in unruhigen Schlummer.
Am folgenden, dem neunten Tag seit ihrem Abschied vom Holzheim Hocherhaben verschaffte Atiaran mit einer Stimme, die so hart und schroff klang wie Felsgestein, als habe sie einen Punkt erreicht, wo alles, was sie redete, und das Maß, in dem sie sich entblößte, für sie nicht länger irgendeine Rolle spielte, Covenant Aufklärung über die Freischüler. »An der Schule der Lehre«, erläuterte sie, »finden sich immer wieder solche, die zur Erkenntnis gelangen, daß sie nicht in der Gesellschaft ihrer Gefährten fürs Land oder die Lehren der Alt-Lords zu wirken vermögen, als Lords oder Lehrwarte, Gefolgsleute des Schwertes oder des Stabes. Das sind Menschen, die aus ureigenen Visionen wissen, daß sie im Abgeschiedenen forschen sollen. Doch ihr Bedürfnis nach Alleinsein trennt sie nicht von den anderen Menschen. Sie erhalten den Segen der Freischüler und werden von allen herkömmlichen Anforderungen befreit, um mit dem Wohlwollen der Lords und der Achtung aller, die das Land lieben, nach eigenen Wegen des Erkennens und Wissens zu trachten. Denn schon vor langer Zeit begriffen die Lords, daß das Streben nach Einsamkeit kein selbstsüchtiges Streben sein muß, wenn nicht die anderen es dazu machen, die dies Bestreben nicht empfinden. Viele Freischüler sind niemals wieder gesehen worden und haben das menschliche Wissen nicht bereichert. Doch um jene, die nicht völlig verschwanden, haben sich Geschichten gerankt. Von einigen heißt es, sie hätten die Geheimnisse der Träume ergründet, andere sollen in der Heilkunst Fertigkeiten von tiefster Rätselhaftigkeit erlangt haben, manche zu Freunden der Tiere geworden sein, ihre Sprache sprechen und sie in Fällen großer Not zu Hilfe rufen. Ein solcher Freischüler war es ...« Ihre Stimme erstickte für einen Moment. »Ein solcher Freischüler war's, der uns rettete, ein Lerner bei den Geistern Andelains und ein Freund der kleinen Tiere des Waldes. Er verstand mehr von den Sieben Worten, als mir jemals zu Ohren gekommen ist.« Sie stöhnte gedämpft. »Ein gewaltiger Mann ... und nun so dahingeschlachtet. Er ließ die Geister frei und hat uns das Leben gerettet. Wäre ich nur dessen wert! Bei der Sieben! Keine Schandtat hat sich je wider die Geister Andelains gerichtet! Der Graue Schlächter selbst wagte es nicht ... Und es heißt, nicht einmal das Ritual der Schändung besaß Gewalt gegen sie. Und nun spüre ich in meinem Herzen, daß sie niemals wieder tanzen werden.« Sie schwieg bedrückt. »Ach, gleichgültig. Alles endet einmal, endet in Entartung und Tod. Trauer ist für jene, die auch hoffen können. Aber der Freischüler gab sein Leben hin, damit du und deine Botschaft und dein Ring zu den Lords gelangen. Das werden wir vollbringen, damit sein Opfer einen Sinn hat.« Erneut schwieg sie für ein Weilchen. Ist das der Grund? dachte Covenant. Ist es das, wofür das Leben da ist? Um den Tod anderer zu rechtfertigen? Aber er sagte nichts; gleich darauf wandte sich Atiaran widerwillig wieder dem Thema zu. »Ja, die Freischüler. Manche sind Träumer, manche Helfer, manche teilen das Dasein mit den Tieren. Einige schürfen in der Erde, um die Geheimnisse der Höhlenschrate zu entdecken, andere lernen die Lehren der Dämondim – ganz danach, welche Einsicht dem Freischüler seine Vision vermittelt hat. Ich habe sogar schon flüstern hören, ein paar Freischüler eiferten dem Vorbild der Sage von Caerroil Wildholz von der Würgerkluft nach und seien Forstwärtel geworden. Doch das sind gefährliche Reden, selbst wenn man sie bloß flüstert. Ich hatte nie zuvor einen Freischüler gesehen, habe jedoch schon einmal gehört, wie man den Segen der Freischüler erteilte. Dabei wird eine Hymne gesungen.« Leise begann sie die Hymne aufzusagen:
»›Frei und ungebunden,
Abgesegnet und frei,
Träume, daß Träume in Erfüllung gehen,
Schließ deine Augen, bis sie sehen,
Sing von der Weissagung Wohlverstehen,
Und sei
Ungebunden,
frei.‹
Die Hymne besitzt noch viele Worte, aber ich vermag mich in meiner Schwäche nicht darauf zu besinnen ... Es mag sein, daß ich nie wieder ein Lied singe.« Sie raffte ihr Gewand enger um die Schultern, als berühre sie ein frostiger
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