Der Fluch vom Valle della Luna
endlich Braten aus denen?«
Silvestro, Minni und Pippo hatten offenbar verstanden, denn sie zogen sich vorsorglich aus der Küche zurück. Lachend legte Nelly die Pizzapakete auf den Tisch und ging sich umziehen.
»Mach’s dir bequem, ich bin gleich wieder da.«
Erleichtert zog Sandra die Stilettos aus und holte ein paar alte Plüschpantoffeln von Nelly aus dem Schuhschrank. »Ah, wie schön, wenn der Schmerz nachlässt.« Nelly lachte. »Selbst wenn ich wollte, würde ich in meiner Größe keine Highheels finden, also habe ich das Problem nicht.«
In Sweatshirt und mausgrauer Schlabberhose trat sie in die Küche, wo Sandra gerade die Pizza auf zwei Teller verteilte. Sie stellte den ersten in die Mikrowelle und drückte auf den Knopf. Nelly sah ihr wehmütig zu.
»Muss das toll sein, eine Frau zu haben, die einen erwartet, wenn man nach Hause kommt. Oder wenn Carlo immer hier wäre. Er kann viel besser kochen als ich.«
Sofort bereute sie es, ihn erwähnt zu haben.
»Ihr seid einfach das perfekte Paar.«
Autsch.
»Ich glaube, nichts ist perfekt, Sa. Es gibt nur den mehr oder weniger zutreffenden Anschein von Perfektion. Aber wie dem auch sei, ich hoffe, du hilfst mir mit diesem Berg Pizza. Oder soll ich den etwa alleine verdrücken? «
Sandra hatte sich an die Terrassentür gestellt und blickte hinaus ins Dunkel. Neumond. Sie drehte sich nicht um.
»Ein guter Punt e Mes ohne alles zum Aperitif. Mit oder ohne Olive, egal. Und da du mir leidtust, aber nur deshalb, will ich mich opfern und die mit Peperoni und die mit Gorgonzola essen. Hast du vielleicht ein Bierchen?«
Ohne eine Antwort abzuwarten, ging sie zu dem amerikanischen Kühlschrank, Nellys neuester, hart erkämpfter Errungenschaft, die sie noch immer abzahlte, und öffnete ihn. Beim Anblick des traurigen Inhalts verzog sie den Mund. Eine halbe Zitrone in einer Tasse, eine halbe, verschrumpelte Zwiebel in Klarsichtfolie, eine fast leere Packung H-Milch und drei Guinness. Sie griff danach und schloss die Tür.
»Man könnte meinen, du wohnst gar nicht hier. Dein Kühlschrank sieht vielleicht aus ...«
Hüstelnd überging Nelly die Bemerkung. In letzter Zeit bin ich abends nun mal selten zu Hause. Wenn du wüsstest ... Sandra zog eine Schublade auf und suchte nach dem Flaschenöffner. Nelly schüttelte den Kopf.
»Es gab eine Zeit, da reichte dir ein Feuerzeug, um ’ne Bierflasche aufzumachen. Man wird alt, was?«
Nelly goss eine großzügige Portion Punt e Mes in die Gläser, und das Klingeln der Mikrowelle verkündete, dass die Pizza heiß war. Der Duft nach Tomaten und Oregano erfüllte die Luft. Und die zwei Freundinnen setzten sich und stießen an. Geduldig wartete Nelly, dass Sandra mit dem Grund für ihr Treffen herausrückte. Schon wieder die Verdammten, möchte ich wetten. Verstohlen blinzelte sie zu ihrer Freundin hinüber, die sich über die Pizza hermachte.
»Du fragst dich, wann ich endlich die Katze aus dem Sack lasse, hm? Und ob’s wieder um die Pisus geht. Jawoll, es geht um meine Cousins.«
Nur mit Mühe konnte Nelly den Unwillen verbergen, den der Familienname bei ihr auslöste. Sofort stellten sich ihr die Nackenhaare hoch.
»Was gibt’s denn noch, Sandra? Du weißt, was die Ermittlungen ergeben haben, nämlich, dass sie nichts ergeben haben. Ich glaube, es gibt keinen Grund, sich weiter darüber den Kopf zu zerbrechen.«
Sandra schob sich ein weiteres Riesenstück in den Mund, legte die Gabel weg und seufzte verzagt. Sie stützte die Ellenbogen auf den Tisch, legte das Kinn in die Hände und sah ihre Freundin bekümmert an.
»Es geht nicht um Anselmo, Gott hab ihn selig. Giancarlo ist schon wieder verschwunden, diesmal seit fünf Tagen. Ohne seine Medizin. Serena ist völlig außer sich vor Sorge, sie weiß nicht, was sie machen soll, und ruft mich dauernd an. Der Vater ist tot, die Mutter ist Alkoholikerin und stopft sämtliche Psychopharmaka in sich rein, die sie zwischen die Finger kriegt. Das Mädchen tut mir leid, sie ist so allein.«
»Das verstehe ich, aber weißt du, mein Kollege Paolo Rivelli war neulich bei deinem Cousin Anselmo zu Hause, und Serena hat ihm erzählt, dass ihr Bruder tut, was er will, und manchmal tagelang von zu Hause verschwindet. Er ist erwachsen, wenn auch nicht ganz dicht. Seine Familie hat sich offenbar nie besonders um ihn gekümmert. Wieso sollte es diesmal anders sein? Er ist volljährig, Sandra. Er kann tun, was ihm passt, auch monatelang verschwinden. Wenn er allerdings eine
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