Der Fluch Von Belheddon Hall: Roman
genau das gleiche, nämlich daß sich schon irgendwer um Tom kümmerte.
»Tom!« rief sie flüsternd und wiederholte dann lauter: »Tom!« Sie rannte die Treppe in sein Zimmer hinauf. Es war leer und aufgeräumt, ebenso wie Neds. In ihrem eigenen Zimmer war niemand, ebensowenig wie in Lyns und Davids. Sie blickte die Treppe zum Dachboden hinauf. Dort oben lagen die Zimmer der Grants, und Tom war auf der Suche nach ihnen mindestens zweimal dort gewesen.
Langsam stieg sie die Stufen hinauf und blieb dann horchend am Treppenabsatz stehen. Hier war es sehr warm, und die Zimmer rochen sehr stark nach trockenem Holz und Staub. Es war absolut still.
»Tom?«
Ihre Stimme klang aufdringlich laut.
»Tom? Bist du hier oben?«
Sie betrat das Zimmer von Elizabeth und Geoffrey. Überall lagen Kleidungsstücke verstreut; die kleine Kommode war mit Schminksachen übersät, dazu Elizabeths Halsketten und Geoffreys Krawatte, die er sich am Abend vorher vom Hals gerissen hatte, sobald die Gäste gegangen waren. Ihr Bett war ein niedriges Sofa – darunter gab es keinen Platz, um sich zu verstecken. Keine Spur von Tom. Auch in Mats Zimmer war er nicht. Joss stand in der Mitte des Raums, blickte sich um und lauschte auf die schlurfenden Geräusche hinter der Tür auf der gegenüberliegenden Seite der Tür, die zu den leeren Speicherräumen führte.
Da waren Schritte, ein Möbelstück wurde über den Boden geschoben, ein unterdrücktes Kichern.
»Tom?« Warum flüsterte sie?
»Tom?« Sie versuchte, etwas lauter zu reden.
Plötzlich war nichts mehr zu hören.
»Georgie? Sam?«
Die Stille war so überwältigend, daß sie spürte, wie jemand die Luft anhielt und lauschte. Langsam, fast schlafwandlerisch, ging sie auf die Tür zu. Die Stille wurde noch tiefer. Als sie die Tür öffnete, wurde sie zu etwas Greifbarem, Dichtem und sehr Bedrohlichem.
»Tom!« Diesmal schrie Joss laut und schrill, fast panisch. »Tom, bist du da?«
Sie stieß die Tür ganz auf, trat hinein und ließ ihren Blick durch das leere Zimmer schweifen. Das Licht war trüb, die Luft von Staubkörnchen erfüllt. Am Fenster summte hektisch eine Biene und prallte immer wieder gegen die Scheibe bei dem Versuch, nach draußen zu gelangen, in die Sonne und zu den Blumen im Garten. Die Tür am anderen Ende des Zimmers stand halb offen. Die Schatten dahinter waren dunkel und warm.
»Tom?« Jetzt zitterte ihre Stimme. »Tom, Schätzchen, wo bist du? Bitte, versteck dich nicht!«
Diesmal kam das Kichern ganz aus ihrer Nähe, das halb unterdrückte Lachen eines Kindes. Sie wirbelte herum. »Tom?«
Es war niemand da. Fast im Laufschritt ging sie in Mats Zimmer zurück und sah sich erneut um. »Tom!« Es war ein Schluchzen.
Sie machte erneut kehrt und rannte durch die zwei vorderen leeren Speicherräume in das hinterste mit dem Fenster, von dem aus man in den Hof sehen konnte. »Tom!« Aber es war niemand da, und bis auf das durchdringende Summen der Biene am Fenster war nichts zu hören. Langsam ging Joss durch die schattenerfüllten Räume zurück zu dem kleinen Fenster, öffnete es mühsam und sah zu, wie die Biene in den Sonnenschein hinausflog. Joss merkte, daß ihr Tränen über die Wangen liefen. Ihre Kehle war wie zugeschnürt, und ihr Herz klopfte bis zum Hals. »Georgie, bist du das? Wo bist du? Sammy? Bist du’s?«
Mit schwachen Beinen ging sie durch das Zimmer der Grants zum oberen Treppenabsatz zurück und versuchte, durch ihre Tränen hindurch nach unten zu sehen. »Tom? Wo bist du?« Kraftlos schluchzend ließ sie sich auf die oberste Stufe sinken. Sie zitterte vor Erschöpfung und Angst.
»Joss?« Es war Mat, der zu ihr hinaufblickte. »Bist du das?« Zwei Stufen auf einmal nehmend, rannte er zu ihr. »Joss, was ist denn los? Was ist passiert?«
»Tom«, stieß sie hervor. Vor Zittern konnte sie kaum sprechen.
»Tom?« Er runzelte die Stirn. »Was soll mit Tom sein? Er ist unten in der Küche bei Lyn.«
Joss umklammerte ihre Knie und starrte ihn an. »Ihm fehlt nichts?«
»Ihm fehlt gar nichts, Joss.« Er suchte in ihrem Gesicht nach einer Erklärung für ihr Verhalten; dann setzte er sich neben sie und legte ihr den Arm um die Schultern. »Was ist denn, Joss?«
»Ich konnte ihn nirgends finden …«
»Ihm geht’s gut, wirklich.« Er drückte sie kurz an sich, dann stand er auf und streckte ihr eine Hand entgegen. »Komm, schauen wir mal nach ihm.«
Sie strich sich die Haare aus dem Gesicht, und plötzlich dachte sie daran, welchen Anblick
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