Der Fluch
Zimmer eingeschlossen, mit niemandem gesprochen. Ich hatte gar nicht den Willen, dagegen anzukämpfen, habe mich einfach in diese schleichende Apathie fallen lassen, die mich von der Welt isolierte.
Aber jetzt habe ich den Wunsch, mich gegen diese kalte, nackte Angst aufzulehnen. Jemand hat es auf mich abgesehen, verfolgt mich, kreist mich ein. Und mir bleibt nur zu warten. Dieses bohrende, quälende Ausharren, bis der nächste Schritt geschieht. Es zerrt an meinen Nerven. Nein, ich kann nicht einfach hier sitzen. Ich kann nicht allein in diesem Apartment bleiben. Dazu verdammt, nichts zu tun. Mir bleibt nur die Flucht. Und der einzige Ort, an dem ich es aushalten kann, es klingt paradox, sind die noch viel einsameren Ateliers.
Es funktioniert. Es gelingt mir tatsächlich abzuschalten. An der Staffelei komme ich zur Ruhe. Das ist nicht nur Ablenkung, sondern unendlich viel mehr. Als ob ich die Grenze zu einer anderen Welt überschreite.
Das Malen ist das Beste, was ich im Moment machen kann. In mich selbst abzutauchen. Malen ist für mich, was für Katie das Klettern bedeutet, für Robert die Bücher. Es ist mein Rückzugsort. Mein Mantra.
Und die Stunden, die die Nacht über quälend langsam vergingen, verfliegen plötzlich wie im Rausch.
Wieder und wieder mische ich die Farben.
Die Farben – sie sind das Schwerste an diesem Bild. Ich konzentriere mich nur auf ein Ziel: die Tönung des weißen Marmors perfekt auf die Leinwand zu bannen. Jeder Betrachter soll beim Anblick des Bildes spüren, dass die äußere Hülle, die Totenmaske, die Sallys Gesicht halb verdeckt, wie versteinert wirkt. Ich esse nicht, ich trinke nicht, ich mache keine Pause – und irgendwann, ich weiß nicht, wie spät es ist, lasse ich den Pinsel sinken, reibe meine Schulter und tauche allmählich wieder auf.
Minutenlang stehe ich vor dem Bild.
Zwei Gesichter, die ineinandergeschachtelt sind. Zwei Mädchen, die sich ähneln. Und die Verwandlung von Tod in Leben.
Ich wische meine Hände an einem Lappen ab, schließe die Farbtuben, reinige die Pinsel mit Terpentin.
Ich habe mir das Herz aus der Seele gemalt. Und jetzt?
Ich sehe auf die Staffelei neben mir. Zögere, denn ich ahne, dass ich damit die Angst wieder in mein Herz lasse. Aber ich kann nicht anders.
Das Bild ist immer noch mit einem Tuch verhüllt. Es ist eine unmissverständliche Bitte zu respektieren, dass hier etwas entsteht, was nicht oder noch nicht für die Augen anderer bestimmt ist. Und ich kann es verstehen. Auch ich hasse es, wenn jemand eine Arbeit von mir sieht, die noch nicht fertig ist. Deswegen ist es unfair, was ich jetzt tue, das weiß ich genau.
Schon liegt meine Hand auf dem Tuch und in der nächsten Sekunde ziehe ich es herunter und lasse es auf den Boden fallen.
Im Nachhinein kann man immer sagen, man hätte so etwas wie eine Vorahnung gehabt. Intuition, Gefühl, eine Art unbewusstes Wissen. Obwohl ich an so etwas nicht glaube, sonst wäre das mit J. F. nicht passiert. Aber als ich das Bild auf der Staffelei sehe, kommt es mir vor, als hätte das alles eine Logik. Als fügten sich die Dinge ineinander. Es hängt mit der Gewissheit zusammen, dass alles, was die letzten Tage geschehen ist, sich auf mich bezieht. Etwas mit mir zu tun hat. Als ob ich ebenso, wie der Lake Mirror der Mittelpunkt des Tals ist, ins Zentrum des Geschehens gerückt bin.
Und der Anblick des Bildes sagt mir: Ich habe mich nicht getäuscht. Denn das Motiv ist dasselbe, das ich gemalt habe.
Nein.
Nicht dasselbe.
Es ist nur dasselbe Prinzip.
Wer immer das gemalt hat, hat die Gesichter vertauscht. Es ist der Kopf des Mädchens, der auseinanderbricht und dahinter liegt die Totenmaske.
Aber die Ähnlichkeit ist unverkennbar.
Ich bin das Mädchen, dessen Gesicht sich teilt, und es ist meine Totenmaske, die zum Vorschein kommt.
Als ich das begreife, kehrt die Panik zurück. Und sie trifft mich wie ein Schlag. Es ist eine Warnung. Ich begreife es jetzt. Und kann nicht davor fliehen.
Ich rase hinunter in mein Apartment. Die Nachricht liegt immer noch sichtbar auf dem Schreibtisch. Ich habe es nicht über mich gebracht, sie zu vernichten. Aber ich halte mich nicht damit auf, die Ecken nach irgendwelchen Geistern abzusuchen. Es geht jetzt nur noch darum, wer am Ende gewinnt. Mein Verstand oder die Angst? Die Konfrontation oder die Verzweiflung? Die Realität oder der Albtraum?
Ich klappe meinen Laptop auf, warte ungeduldig, bis das System hochgefahren ist, und rufe Facebook auf.
Ich
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