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Der Flug der Stoerche

Der Flug der Stoerche

Titel: Der Flug der Stoerche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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aufgehört, und wir machten uns wieder auf den Weg. Es war vier Uhr nachmittags. Gabriel holte aus dem Handschuhfach einen Plastiksack voller schwärzlicher, gedrungen wirkender Patronen. Ich füllte sofort sechzehn Kugeln in das Magazin und schob es in den Lauf der Glock 21. Gabriel enthielt sich eines Kommentars, er beobachtete mich lediglich aus dem Augenwinkel. Eine Selbstladepistole in den Urwald mitzunehmen ist an sich nichts Erstaunliches; eine Waffe wie diese, fast ohne Gewicht, deren Mechanismen sich leise und leicht bewegten, hatte er freilich noch nie gesehen.
    Dann tauchte M’Baiki vor uns auf: eine Ansammlung von Hütten aus Lehm und Blech, die sich in einzelnen Vierteln über den Abhang eines Hügels zogen. Auf der Spitze thronte eine große Villa, gestrichen in verwaschenen Blautönen. »Das Haus von Dr. M’Diaye«, murmelte Gabriel und steuerte den Wagen bis vor das Tor.
    Wir betraten einen verwilderten Garten voller verschlungener Lianen und riesenblättriger Pflanzen. Sofort tauchte eine Schar Kinder auf, die hinter den Bäumen hervorlugten und uns belustigt musterten. Das Haus wirkte wie ein Überbleibsel aus Kolonialzeiten: sehr groß und unter ein langes Dach aus verrostetem Blech geduckt, hätte es prachtvoll sein können, aber unter den fortwährenden Regengüssen im Wechsel mit einer glutheißen Sonne welkte es langsam vor sich hin. In den Tür- und Fensteröffnungen hingen zerrissene Vorhänge.
    M’Diaye wartete vor der Tür. Rotäugig blickte er uns entgegen.
    Nach den üblichen Begrüßungsfloskeln setzte Gabriel zu einer langen Vorrede an, gespickt mit komplizierten Erklärungen über meine Expedition und mit Komplimenten an den >Herrn Präsidenten<. M’Diaye hörte mit unbewegter Miene zu. Er war ein kleiner Mann mit schlaff herabhängenden Schultern, auf dem Kopf einen tropfnassen Strohhut. Seine Gesichtszüge waren verschwommen, sein Blick noch mehr. Ich stand hier vor einem Exemplar des eingefleischten afrikanischen Säufers, der sich bereits im Zustand eines ansehnlichen Rausches befand. Endlich forderte er uns auf einzutreten.
    Der große Saal lag im Halbdunkel. Entlang den Wänden verliefen Abzugsgräben, in denen es leise plätscherte. Mit äußerster Bedächtigkeit nahm M’Diaye einen Stift aus einer Schublade, um meine Genehmigung zu unterschreiben. Durch den Vorhang vor einer anderen Tür konnte ich einen Blick in den Hinterhof werfen: dort saß eine dicke schwarze Frau mit länglichen Brüsten vor einem Bottich, in dem es von Raupen wimmelte. Sie spießte die Larven auf zugespitzte Zweige, die sie vorsichtig über ein glühendes Kohlebecken legte. Ihre Kinder tobten kreischend um sie herum.
    M’Diaye unterschrieb jedoch nicht, sondern wandte sich an Gabriel: »In dieser Jahreszeit ist der Wald gefährlich.«
    »Ja, Herr Präsident.«
    »Es gibt wilde Tiere. Die Pisten sind schlecht.«
    »Ja, Herr Präsident.«
    »Ich weiß nicht, ob ich Ihnen gestatten kann, sich unter diesen Umständen auf den Weg zu machen .«
    »Ja, Herr Präsident.«
    »Wie könnte ich Ihnen helfen, falls Sie einen Unfall haben?«
    »Ich weiß nicht, Herr Präsident.«
    Schweigen trat ein, Gabriel hatte die aufmerksame Miene eines guten Schülers aufgesetzt. Dann stellte M’Diaye die entscheidende Frage: »Sie müßten eine gewisse Summe hinterlegen. Eine Kaution sozusagen - damit ich Ihnen im Notfall helfen kann.«
    Ich hatte genug von der Maskerade. »M’Diaye, ich muß mit Ihnen reden«, sagte ich. »Es ist wichtig.«
    Der Präsident sah in meine Richtung und schien mich zum ersten Mal wahrzunehmen.
    »Wichtig, sagen Sie?« Sein Blick schweifte durch den Raum. »Dann gehen wir trinken.«
    »Wo?«
    »Im Cafe. Gleich hinter dem Haus.«
    Draußen hatte der Regen wieder eingesetzt, leicht und beiläufig.
    M’Diaye führte uns in eine Garküche mit einem Fußboden aus gestampfter Erde und Tischen, die aus umgedrehten
    Bretterkisten bestanden. M’Diaye bestellte ein Bier, Gabriel und ich tranken Soda. Der Präsident heftete seinen harten Blick auf mich. »Ich höre«, sagte er.
    Ich begann ohne Vorrede: »Erinnern Sie sich an Max Böhm?«
    »Wen?«
    »Er war ein Weißer, der vor fünfzehn Jahren die Diamantenminen beaufsichtigt hat.«
    »Keine Ahnung.«
    »Ein dicker Mann, der brutal und grausam war, die Arbeiter terrorisiert hat und mitten im Wald lebte.«
    »Nein. Wirklich nicht.«
    Ich hieb auf den Tisch, daß die Gläser hüpften. Gabriel sah mich verblüfft an.
    »M’Diaye, Sie waren noch jung

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