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Der Flug der Stoerche

Der Flug der Stoerche

Titel: Der Flug der Stoerche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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offensichtlich nicht in Kiefers Welt. Dennoch ließ ich nicht locker. »Sikoff besaß einen Paß der Vereinten Nationen«, sagte ich. »Hat er vielleicht ohne dein Wissen für Monde Unique gearbeitet?«
    »Kann schon sein.«
    »Weißt du was über den Mord an Rajko Nikolitsch, einem Zigeuner aus Sliven in Bulgarien, der im Mai dieses Jahres begangen wurde?«
    »Nein.«
    »Und über den Mord an Gomun, einem Pygmäenmädchen, vor zehn Tagen in der Nähe der Sicamine?«
    »Der Sicamine?« fragte Kiefer interessiert.
    »Spiel nicht den Unschuldigen, Kiefer. Du weißt ganz genau, daß dein Arzt nach Zentralafrika zurückgekommen ist. Er hat sogar deinen Helikopter benutzt.«
    Kiefer seufzte wieder. »Du weißt ziemlich viel, Bursche. Vor zehn Tagen hat Bonafe mich benachrichtigt. Daß der Doc wieder in Bangui sei. Wahrscheinlich sucht er die Diamanten.«
    »Welche Diamanten?«
    »Die diesjährige Ernte - die Steine müssen doch fortgeschafft werden auf die eine oder andere Weise, nicht wahr?« Kiefer grinste. »Aber er hat mich nicht gefunden.«
    Ich versuchte zu bluffen. »Weil er dich nicht gesucht hat«, gab ich zurück.
    Der Tscheche richtete sich auf. »Was redest du für einen Quatsch?« fragte er verblüfft.
    »Er ist nicht wegen der Diamanten gekommen. Für ihn ist das Geld bloß ein Mittel zum Zweck. Ein Element zweiter Klasse.«
    »Warum sollte er sonst in dieses Negerloch kommen?«
    »Wegen Gomun. Um dem Pygmäenmädchen das Herz herauszuschneiden.«
    »Teufel, das glaub’ ich nicht!« spie der Kranke.
    »Ich habe ihre Leiche gesehen, Kiefer.«
    Der Tscheche schien nachzudenken. »Er ist nicht meinetwegen gekommen«, sagte er schließlich. »Sakrament ... Dann kann ich ja beruhigt sterben.«
    »Du bist aber noch nicht tot, Kiefer. Hast du diesen Arzt je wiedergesehen?«
    »Nein.«
    »Weißt du nicht seinen Namen?«
    »Nein, sag’ ich dir.«
    »Ist er Franzose?«
    »Er spricht französisch, mehr weiß ich nicht.«
    »Akzentfrei?«
    »Jawohl.«
    »Wie sieht er aus?«
    »Großer Kerl. Mager, kahle Stirn, graue Haare. Eine Fresse aus Stein.«
    »Ist das alles?«
    »Laß mich in Frieden.«
    »Wo versteckt sich dieser Doktor, Kiefer?«
    »Irgendwo auf der Welt.«
    »Wußte Böhm, wo er sich aufhält?«
    »Ich glaube ja.«
    Mir versagte fast die Stimme. »Wo, verdammt?!« rief ich.
    »Wenn ich’s doch nicht weiß.«
    Ich stand auf. Ins Zimmer war die Hitze eingedrungen, eine Hitze, die Eisenstangen zum Schmelzen bringen konnte.
    »Und unsere Abmachung, Saukerl?« krächzte Kiefer.
    »Keine Angst«, sagte ich und starrte ihn an. Ich hob den Arm mit der Waffe und lud durch.
    »Schieß schon, du Arschloch!« pfiff Kiefer.
    Ich zögerte noch. Auf einmal aber sah ich die Form der Handgranate unter dem Laken und den Finger des Tschechen auf dem Abzug. Ich packte die Pistole mit beiden Händen und feuerte einen einzigen Schuß ab. Das Moskitonetz erbebte. Kiefer explodierte mit einem dumpfen Geräusch und besprengte das Netz mit schwärzlichem Blut und Gehirn. Draußen flogen die Störche mit rauschenden Schwingen auf.
    Nach einigen Sekunden trat ich näher und schlug die Tüllbahnen zur Seite. Kiefer war nur noch ein eingefallenes Gerippe, auf dem Kopfkissen ausgebreitet in einem Meer von Blut, Fleischfetzen und Knochensplittern. Die Granate lag unangetastet zwischen den Falten des Lakens. Neben den menschlichen Überresten fand ich winzige Diamanten und eiserne Ringe - die >Ernte< des Jahres. Ich ließ das Vermögen liegen und nahm lediglich einen Ring mit.
    Ich trat auf den Gang hinaus. Die M’Bati-Frau war erwacht und eilte gestikulierend herbei, ihre Kinder auf den Fersen. Sie lachte unter Tränen: das Ungeheuer war vernichtet. Ich drängte sie beiseite. Über die Wände liefen immer noch die Eidechsen wie ein lebendes grünes Gesims. Ich rannte ins Freie, aber die Sonne stoppte meinen Lauf. Geblendet stieg ich die Stufen hinunter, schwankend, und ließ meine Pistole auf die scharlachrote Erde fallen.
    Alles war vorbei - alles fing an.
    Weit in der Ferne erblickte ich Tina, die mir zwischen hohen Gräsern entgegenlief.
     

V
EIN HERBST IN DER HÖLLE

45
     
    Vier Tage später, im Morgengrauen, war ich wieder in Paris. Wir hatten den 30. September. Meine riesige Wohnung am Boulevard Raspail erschien mir klein und beengt; geschlossene Räume war ich nicht mehr gewohnt. Ich hob die Post der letzten beiden Wochen auf und ging in mein Arbeitszimmer, um den Anrufbeantworter abzuhören. Ich erkannte die Stimmen einiger

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