Der Flug der Stoerche
sie nicht einen Augenblick gezögert und den Inspektor niedergeschossen hatte. Dumaz war tot, Sarah hinter Schloß und Riegel. Der einzige Trost in diesem blutigen Nachspiel war mir die Gewißheit, daß meine israelische Geliebte fortan in Sicherheit war.
Ich stand auf und ging wieder in mein Arbeitszimmer. Mechanisch stellte ich mich ans Fenster und zog die Vorhänge auf. Der Garten des amerikanischen Zentrums, der direkt an mein Wohnhaus angrenzte, war dem Erdboden gleichgemacht worden. Die Büsche und Sträucher hatten den schwärzlichen Furchen der Bulldozer weichen müssen, nur ein paar Bäume waren noch verschont geblieben. Ich dachte, daß ich als allererstes Sarah Gabbor wiedersehen mußte. Das würde meine erste wirkliche Gelegenheit sein, mit der internationalen Polizei in Kontakt zu treten.
46
Der Vormittag raste dahin wie ein Buschfeuer. Ich führte mehrere Telefonate - mit der internationalen Auskunft, mit Botschaften und Gerichten -, dann verschickte ich mehrere Faxe, um eine Genehmigung zu bekommen, an der mir sehr gelegen war: die Besuchserlaubnis für das Frauengefängnis von Ganshoren am Stadtrand von Brüssel, wo Sarah in Untersuchungshaft saß. Am späten Vormittag hatte ich alle Schritte unternommen, die mir möglich waren. Mehrmals hatte ich durchblicken lassen, daß ich im Besitz wichtiger Informationen sei, die den Fall in ein neues Licht rückten. Ich setzte alles auf eine Karte: entweder man nahm mich ernst, dann hatte ich keinen Einfluß mehr auf die Folgen meines Entschlusses; oder man hielt mich für verrückt, und jedes Ansuchen war sinnlos.
Um elf Uhr rief ich noch einmal die internationale Auskunft an und erhielt die zwölfstellige Nummer des Krankenhauses von Montreux, wo am 20. August die Leiche von Max Böhm obduziert worden war. Ich sprach mit der Zentrale und fragte nach Frau Dr. Catherine Warel. Nach einer Minute ertönte ein energisches »Hallo?«.
»Frau Dr. Warel, ich bin Louis Antioche. Vielleicht erinnern Sie sich noch an mich?«
»Nein«, erwiderte sie.
»Wir haben uns vor etwa sechs Wochen bei Ihnen in der Klinik kennengelernt. Ich bin derjenige, der die Leiche von Max Böhm gefunden hat.«
»Ach ja. Der Ornithologe?«
Ich wußte nicht, ob sie mich oder Böhm damit meinte.
»Genau. Frau Dr. Warel, ich brauche ein paar wichtige Informationen im Zusammenhang mit diesem Todesfall.«
Ich hörte ein metallisches Klicken und schloß auf den Deckel eines Benzinfeuerzeugs.
»Aha«, sagte sie dann. »Na, wenn ich Ihnen helfen kann ... Worum geht es?«
Ich wollte schon anheben, als mir klar wurde, daß meine Worte völlig absurd für sie klingen mußten.
»Am Telefon kann ich nicht reden. Ich muß Sie sehen, so bald wie möglich.«
Catherine Warel war eine Frau, die sich nicht so leicht aus der Fassung bringen ließ. Ohne zu zögern, antwortete sie: »Na ja, gut, dann kommen Sie heute nachmittag her, wenn Sie können. Gegen eins geht eine Maschine von Orly nach Lausanne. Ich erwarte Sie um fünfzehn Uhr in der Klinik.«
»Ich werde dasein. Vielen Dank.«
Bevor ich aufbrach, rief ich noch bei Dr. Djuric in Sofia an. Nach einer Viertelstunde vergeblicher Bemühungen hörte ich endlich den Rufton am anderen Ende, und nach siebzehnmaligem Läuten meldete sich jemand auf bulgarisch.
»Hallo?«
Ich erkannte die sonore Stimme von Milan Djuric, den ich vermutlich aus seiner Siesta gerissen hatte.
»Dr. Djuric, hier ist Louis Antioche, der Mann mit den Störchen.«
Ein paar Sekunden blieb es still, dann antwortete die tiefe Stimme: »Antioche. Ich habe viel an Sie gedacht seit unserer Begegnung. Ermitteln Sie immer noch im Todesfall Rajko?«
»Mehr denn je. Und ich glaube, ich habe seinen Mörder gefunden.«
»Was?!«
»Ja. Zumindest seine Spur. Der Mord an Rajko ist Teil eines perfekt organisierten Systems, dessen tiefere Gründe mir allerdings noch nicht klar sind. Mit Sicherheit weiß ich nur eins: das Netz umfaßt den gesamten Planeten. In anderen Ländern haben weitere Verbrechen derselben Art stattgefunden. Und ich brauche Ihre Hilfe, um dem Massaker ein Ende zu machen.«
»Was kann ich für Sie tun?«
»Ich muß Rajkos HLA-Typ wissen.«
»Nichts einfacher als das. Ich habe den Autopsiebericht hier. Bleiben Sie dran.«
Ich hörte, wie Djuric Schubladen öffnete und mit Papieren raschelte, dann kam er wieder an den Apparat.
»Hier hab’ ich’s«, sagte er. »Er hatte den HLA-Typ AW19,3 - 637,5.«
Es traf mich wie ein Faustschlag in den Magen. Obwohl
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