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Der Flug der Stoerche

Der Flug der Stoerche

Titel: Der Flug der Stoerche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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ich.
    »Darf ich fragen, in welcher Beziehung Sie zu Frau Gabbor stehen?«
    »In einer persönlichen.«
    »Sind Sie Jude?«
    »Nein.«
    »Wie lange kennen Sie Sarah Gabbor?«
    »Etwa einen Monat.«
    »Sie haben sie in Israel kennengelernt?«
    »In Bet She’an.«
    »Und Sie meinen, Sie haben wichtige Informationen für uns?«
    »Ich glaube ja.«
    Mein Gesprächspartner verstummte, er schien nachzudenken. Dann sagte er unvermittelt und rasch: »Monsieur Antioche, der Fall ist kompliziert, sehr kompliziert. Er stürzt uns alle in größte Verlegenheit. Und zwar rede ich nicht nur vom Staat Israel, sondern auch von den anderen beteiligten Regierungen. Wir sind überzeugt, daß Sarah Gabhors unbesonnene Tat nur die sichtbare Spitze eines Eisbergs ist. Dahinter steht ein ganzes System, eine Organisation von ungeahntem Ausmaß, von internationalem Format.«
    Als >unbesonnene Tat< bezeichnete er eine Pistolenkugel mitten in die Stirn! Der Herr neigte zur Untertreibung.
    »In allen betroffenen Ländern beschäftigt sich die Polizei mit dem Fall«, fuhr der Anwalt fort. »Derzeit sind sämtliche Informationen vertraulich, und ich kann Ihnen leider auf gar keinen Fall gestatten, mit Frau Gabbor zu sprechen. Hingegen hielte ich es für nützlich, wenn Sie nach Brüssel kämen, damit wir miteinander reden können. Am Telefon ist das ja nicht gut möglich, wie Sie zugeben werden.«
    Ich griff nach meinem Notizblock. »Wo finde ich Sie?« frage ich.
    »In der israelischen Botschaft. Rue Joseph II Nummer 81.«
    »Wie war noch mal Ihr Name?«
    »Itzhak Delter.«
    »Herr Delter, eines muß klar sein: wenn ich Ihnen helfen kann, werde ich es tun, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern. Aber nur unter einer Bedingung, nämlich der Garantie, daß ich Sarah Gabbor sehen darf.«
    »Darüber zu entscheiden ist nicht unsere Sache. Aber wir werden uns bemühen, eine Genehmigung für Sie zu erwirken. Wenn die Untersuchungsbeamten der Ansicht sind, ein Treffen zwischen Ihnen und Frau Gabbor könnte ihren Ermittlungen förderlich sein, wird es kein Problem geben. Ich denke, das hängt ganz von Ihrer Mitarbeit ab und von den Informationen, die Sie uns geben können .«
    »Nein, das denke ich nicht. Sondern eine Hand wäscht die andere. Zuerst Sarah, dann meine Aussage. Gegen Mittag bin ich in Brüssel.«
    Delter seufzte - das Dröhnen eines Düsenmotors. »Wir erwarten Sie.«
    Ein paar Minuten später war ich geduscht, rasiert und angezogen: ich trug den Hackett-Anzug, der aus besseren Tagen stammte, seidiges Grau mit Perlmutterknöpfen. Telefonisch bestellte ich einen Mietwagen, dann ließ ich mich im Taxi zu dem Autoverleiher bringen. Ich besaß noch über dreißigtausend Francs Böhmscher Herkunft, dazu kam mein monatlicher Unterhalt in Höhe von je zwanzigtausend Francs, den ich im August und September bekommen, aber nicht angerührt hatte. Alles in allem verfügte ich also über siebzigtausend Francs, mit denen ich sämtliche Reisen finanzieren konnte, die notwendig waren, um den >Doc< zur Strecke zu bringen. Außerdem hatte ich noch zahlreiche unbenutzte Hotelvouchers und Flugtickets erster Klasse, die sich leicht eintauschen ließen.
    Als ich die Wohnungstür hinter mir zusperrte, spürte ich den Adrenalinstoß in allen Gliedern.

48
     
    Um neun Uhr war ich auf der Nordautobahn und fuhr in Richtung Brüssel. Am Himmel standen dunkle Schlieren, die vom Horizont aufstiegen wie Drähte aus einem unheilverkündenden Generator. Das Aussehen des Landes veränderte sich mit jedem Kilometer. Gebäude aus roten Ziegeln tauchten auf und sahen aus wie Blutkrusten, die sich unerwartet in die Landschaft gestohlen hatten. Ich hatte das Gefühl, in die inneren Schichten einer graubraunen Trostlosigkeit vorzudringen, aus der es keine Wiederkehr gab. Hier schien die Verzweiflung zu wachsen, zwischen Unkraut und Bahngleisen.
    Zu Mittag passierte ich die Grenze, und eine Stunde später war ich in Brüssel. Die belgische Hauptstadt wirkte trübe auf mich, eine Stadt ohne Glanz. Ein Abklatsch von Paris, entworfen von einem lustlosen Architekten. Die Botschaft fand ich mühelos. Sie war in einem großen Gebäude moderner Bauweise untergebracht - grauer Beton und rechtwinklige Balkone. Itzhak Delter erwartete mich in der Halle.
    Sein Aussehen entsprach seiner Stimme. Er war ein Koloß von einem Meter neunzig, gekleidet in einen makellosen Anzug, der ihm anscheinend leises Unbehagen verursachte. Mit seinen massigen Gesichtszügen, der angriffslustigen Kinnlade

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