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Der Flug der Stoerche

Der Flug der Stoerche

Titel: Der Flug der Stoerche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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und der blonden Bürstenfrisur erinnerte der Mann eher an einen Soldaten in Zivil denn an einen schlauen und gerissenen Anwalt, kampferprobt durch zahlreiche diplomatische Affären. Nun, um so besser. Mir war es lieber, mit einem Mann der Tat zu verhandeln. Wir würden keine Zeit mit unnötigen Reden verlieren.
    Nach vorschriftsmäßiger Durchsuchung führte Delter mich in ein kleines, anonym eingerichtetes Büro. Er bot mir einen Stuhl an, den ich ablehnte. So sprachen wir ein paar Minuten im Stehen miteinander: der Anwalt überragte mich um einen halben Kopf, aber ich war meiner sehr sicher und gestärkt durch meinen Zorn und meine Entdeckungen. Delter verkündete, er habe eine Besuchsgenehmigung für mich erwirkt. Ich erklärte ihm meinerseits, daß ich einiges wüßte, was die Diamantenaffäre aufkläre und Sarah Gabbor von dem Verdacht befreien könne, direkte Komplizin der Schmuggler zu sein.
    Delter war skeptisch und wollte mich noch vor der Fahrt zum Gefängnis ausfragen, aber ich weigerte mich, woraufhin er die Fäuste ballte und die Kaumuskeln spielen ließ. Aber nach ein paar Sekunden entspannte er sich, lächelte und sagte mit seiner dröhnenden Baßstimme: »Sie sind eine harte Nuß, Antioche. Also gehen wir. Mein Wagen steht unten. Um zwei Uhr werden wir im Gefängnis Ganshoren erwartet.«
    Unterwegs fragte mich Delter unumwunden, ob ich Sarahs Liebhaber sei. Ich wich der Frage aus. Noch einmal wollte er wissen, ob ich Jude sei. Ich schüttelte verwundert den Kopf: das schien eine fixe Idee von ihm zu sein. Damit aber stellte er seine Fragerei ein. Er erklärte mir, Sarah Gabbor sei eine sehr heikle Mandantin. Sie weigere sich, mit irgend jemandem zu sprechen, selbst mit ihm, ihrem Anwalt. Aber bei der Nachricht, daß ich nach Brüssel käme, habe sie den Wunsch geäußert, mich zu sehen. Ich lächelte. Das Seil der Liebe zwischen uns war also trotz allem noch nicht gerissen.
    Die Vororte im Westen von Brüssel hätten >De profundis< heißen können: es war eine Reise ins Herz der Trostlosigkeit und Ödnis. Die dunklen Häuser wirkten wie eine merkwürdige Ansammlung dunkler und glänzender Organe, erstarrt in gestocktem Blut.
    »Da sind wir«, sagte Delter, als er vor einem riesigen Gebäude mit Granitsäulen rechts und links des Portals anhielt. Zwei Frauen, bewaffnet mit Maschinengewehren, hielten davor Wache. Über ihnen stand, in den Stein gehauen, die Inschrift: Frauengefängnis.
    Wir meldeten uns an. Kurz darauf erschien eine Frau um die Fünfzig mit argwöhnisch verkniffener Miene, um uns abzuholen. Sie stellte sich als Odette Willemsen, Gefängnisdirektorin, vor. Mit starkem flämischem Akzent bestätigte auch sie, wobei sie mich mit Krähenaugen anstarrte: »Sarah Gabbor hat den Wunsch geäußert, Sie zu sehen. Sie ist zwar in Einzelhaft, und bis auf weiteres sind ihr keine Besuche gestattet, aber Herr Delter sowie der Untersuchungsrichter sind der Meinung, daß eine Begegnung mit Ihnen sich positiv auswirken könnte. Sie ist eine äußerst schwierige Gefangene, Monsieur Antioche, und ich will keine zusätzlichen Komplikationen. Also benehmen Sie sich, wie es der Situation angemessen ist.«
    Wir gingen ein Stück den Gang entlang, dann kamen wir zu einem kleinen Garten. »Warten Sie hier auf mich«, befahl Odette Willemsen und verschwand. Wir warteten geduldig neben einem steinernen Brunnen. Die stille, gesetzte Atmosphäre ließ mich an ein Kloster denken. Ohnehin deutete nichts darauf hin, daß wir uns in einer Strafvollzugsanstalt befanden. Wir waren umgeben von klassizistischen Gebäuden, kein einziges Fenster war vergittert. In Begleitung zweier blaugekleideter Wärterinnen, die sie beide um gut zwanzig Zentimeter überragten, kehrte die Direktorin zurück. Sie bat uns, ihr zu folgen. Durch eine kleine Allee gingen wir bis zu einer Tür, die bei unserem Näherkommen geöffnet wurde.
    Dahinter lag ein langer Flur, und am Ende des Flurs versperrte ein großes verglastes Tor den Weg, innerhalb des Gebäudes selbst. Die dicke, schmutzige Glasscheibe war mit flachen, himmelblau gestrichenen Stäben vergittert, und ich begriff, weshalb ich von einem Gefängnis bisher nichts bemerkt hatte: es war ein Bau im Bau. Ein Block aus einzementierten Eisenstäben und Riegeln. Wir kamen näher. Auf ein Zeichen der Direktorin machte sich auf der anderen Seite eine Wärterin am Schloß zu schaffen, es rasselte leise, und die Tür öffnete sich. Dahinter war es eng und rauchig, und es brannten grellweiße

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