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Der Flug der Stoerche

Der Flug der Stoerche

Titel: Der Flug der Stoerche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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hier bei mir. Unterschreiben Sie. Und verschwinden Sie. Sie sind allein, Antioche, und das ist Ihre große Stärke. Sie können sich Zutritt zu Monde Unique verschaffen und den Scheißkerl aufspüren.
    Finden Sie ihn, finden Sie den Mann, der allen diesen Opfern, diesen Kindern, derartige Qualen zugefügt hat. Finden Sie ihn. Und machen Sie mit ihm, was Sie für richtig halten.«

52
     
    Als ich mein Zimmer betrat, sah ich die Kontrollampe am Telefon blinken. Ich riß den Hörer von der Gabel und wählte die Zentrale an.
    »Louis Antioche, Zimmer 232. Haben Sie Nachrichten für mich?«
    Eine Stimme mit starkem belgischem Akzent antwortete: »Monsieur Antioche . Antioche . Warten Sie, ich sehe nach .«
    Ich hörte den Mann auf der Computertastatur tippen und sah, wie auf meinem Unterarm die Adern unter der Haut pulsierten und zuckten, als wären sie eigenständige Wesen.
    »Um neun Uhr fünfzehn hat eine Frau Catherine Warel angerufen. Sie waren nicht in Ihrem Zimmer.«
    Ich sah rot vor Wut. »Ich habe eigens gebeten, alle Gespräche in die Bar zu legen!« schrie ich ihn an.
    »Die Belegschaft hat um einundzwanzig Uhr gewechselt. Es tut mir sehr leid - Ihre Bitte ist dabei wohl untergegangen.«
    »Hat sie eine Nummer hinterlassen, unter der man sie zurückrufen kann?«
    Der Mann nannte mir Catherine Warels Privatnummer. Ich rief sie sofort an. Es läutete zweimal, dann war sie am Apparat und meldete sich mit ihrer heiseren Stimme: »Hallo?«
    »Antioche. Haben Sie was rausgefunden?«
    »Alles, was Sie wissen wollten. Es ist mir gelungen, die Namen der französischsprachigen Ärzte zu bekommen, die sich während der letzten dreißig Jahre in Zentralafrika oder im Kongo aufgehalten haben. Einer ist darunter, der Ihr Mann sein könnte. Aber was für ein Mann! Es ist Pierre Senicier, der eigentliche Pionier der Herztransplantation.
    Ein französischer Chirurg, der 1960 die erste Transplantation an einem Menschen vorgenommen hat: er pflanzte ihm das Herz eines Affen ein.«
    Ich begann am ganzen Körper zu zittern wie im Schüttelfrost. Senicier. Pierre Senicier. Schattenhaft kamen mir die Textauszüge in den Sinn, die ich in Bangui gelesen hatte: »... im Januar 1960 hatte der französische Chirurg Pierre Senicier einem achtundsechzigjährigen Patienten im letzten Stadium einer irreversiblen Herzinsuffizienz ein Schimpansenherz eingepflanzt. Die Operation gelang, aber das implantierte Herz überlebte nur wenige Stunden .«
    Catherine Warel fuhr fort: »In Medizinerkreisen ist die Geschichte dieses Genies wohlbekannt. Seine Transplantation hat enormes Aufsehen erregt, aber Senicier verschwand ziemlich plötzlich. Es hieß damals, er habe Schwierigkeiten mit der Ärztekammer gehabt - er stand im Verdacht, heimlich perverse Experimente durchgeführt zu haben. Sénicier jedenfalls suchte mit seiner Familie in Zentralafrika Zuflucht und wurde, wie es heißt, ein Mann der guten Sache, der Arzt der Schwarzen. Eine Sorte Albert Schweitzer, wenn Sie so wollen. Also, Sénicier könnte Ihr Mann sein, aber eins paßt nicht ...«
    »Was?« murmelte ich mit gebrochener Stimme.
    »Sie sagten doch, Max Böhm sei im August 1977 operiert worden?«
    »Ja, gewiß.«
    »Sie sind ganz sicher, was den Zeitpunkt angeht?«
    »Absolut.«
    »Dann kann Sénicier die Operation nicht vorgenommen haben.«
    »Wieso?«
    »Weil er 1977 bereits tot war. Ende 1965 - genauer gesagt: in der Silvesternacht - wurden er und seine Familie von Häftlingen angegriffen, die Bokassa noch in der Nacht seines Staatsstreichs freigelassen hatte. Alle, Pierre Sénicier, seine Frau und die beiden Kinder, sind bei dem Feuer ums Leben gekommen, das ihr Haus zerstört hat. Ich selber wußte das gar nicht, aber . Louis, sind Sie noch da? Louis? .Hallo?«

53
     
    Wenn in der Arktis der Sommer beginnt, bricht das Packeis auf und öffnet sich, fast widerwillig, über den schwarzen und eisigen Wässern der Beringsee.
    So ähnlich fühlte ich mich in diesem Moment. Catherine Warels niederschmetternde Offenbarung schloß mit einem Schlag den infernalischen Kreis. Nur ein einziger Mensch auf der Welt konnte mir jetzt Aufschluß geben über Dinge, die ich lieber nicht gewußt hätte: Nelly Braesler, meine Adoptivmutter.
    So war ich auf dem Weg nach Mittelfrankreich, in die Auvergne. Mit durchgedrücktem Gaspedal raste ich dahin. Sechs Stunden später, kurz vor dem Ende der Nacht, hatte ich Clermont-Ferrand hinter mir und suchte den kleinen Marktflecken Villiers, ein paar Kilometer

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