Der Flug der Stoerche
irgendwo in der Savanne im Osten, wo er in Begleitung eines Führers bivakiert. Böhm wartet mit griffbereitem Fernglas auf die Störche. Er erzählt dem Landwirt, wie er die Störche in der Schweiz gerettet hat und daß er jedes Frühjahr nach Hause fährt, um ihre alljährliche Rückkehr von der Wanderschaft zu beobachten. Was er an den Störchen finde, fragt Guillard. Böhm antwortet einfach: »Sie besänftigen mich.«
Über Böhms Familie weiß Guillard nicht allzuviel. 1974 lebt Irene Böhm bereits nicht mehr in Afrika. Guillard erinnerte sich an eine kleine, unauffällige Frau mit gelber Gesichtsfarbe, die allein in ihrem Herrenhaus vor sich hin lebt. Philipp, den Sohn, hat er hingegen besser kennengelernt, denn der war bei manchen Expeditionen seines Vaters dabei. Die Ähnlichkeit zwischen Vater und Sohn ist anscheinend verblüffend: dieselbe Korpulenz, dasselbe runde Gesicht, derselbe Bürstenhaarschnitt. Aber Philipp hat den Charakter seiner Mutter geerbt: schüchtern, teilnahmslos, verträumt, ordnet er sich der Autorität des Vaters unter und erträgt schweigend die unbarmherzige Erziehung. Böhm will einen >Mann< aus ihm machen. Er nimmt ihn in feindliche Regionen mit, bringt ihm den Umgang mit Waffen bei, überträgt ihm spezielle Aufgaben, um ihn abzuhärten.
1977: Im August bricht Böhm zu einer Schürfmine auf, mitten im Urwald jenseits von M’Baiki, in der Nähe des großen Sägewerks der SCAD. Dort beginnt das Territorium der Pygmäen. Böhm schlägt im Wald sein Lager auf. Er wird von einem belgischen Geologen namens Niels van Dötten, zwei Führern (einem >großen Schwarzem und einem Pygmäen) und einigen Trägern begleitet. Eines Morgens erhält Böhm durch einen Boten ein Telegramm mit der Nachricht vom Tod seiner Frau. Böhm wußte zwar, daß seine Frau an Krebs erkrankt war, dennoch bricht er zusammen.
Max Böhm hat einen Herzanfall. Van Dötten versucht, ihn mit den verfügbaren Mitteln wiederzubeleben - Herzmassage, Mund-zu-Mund-Beatmung, Erste-Hilfe-Medikamente usw. Er befiehlt den Männern, den Kranken sofort zum Spital von M’Baiki zu bringen - das ist ein Marsch von mehreren Tagen. Aber Böhm kommt wieder zu Bewußtsein. Er stammelt irgendwas von einer Mission, die näher sei, im Süden, jenseits der Grenze zum Kongo (in der Gegend sind Territorialgrenzen nur unsichtbare Linien im Wald). Dorthin will er bis zur weiteren Versorgung gebracht werden. Van Dötten zögert, aber Böhm setzt sich durch und zwingt van Dötten, nach Bangui zurückzukehren, um Hilfe zu holen - es werde schon alles gutgehen, versichert er. Völlig verwirrt macht sich van Dötten auf den Weg und erreicht sechs Tage später die Hauptstadt. Er chartert einen Helikopter von der französischen Armee und fliegt postwendend zurück in den Urwald. Als sie dort ankommen, finden sie keine Spur, weder von einer Mission noch von Böhm. Alles ist verschwunden. Oder hat nie existiert. Böhm wird als vermißt gemeldet, van Dötten verläßt Bangui kurz darauf und kommt nie mehr zurück.
Die Ereignisse im Urwald, im August 77, hat Guillard von dem Belgier erfahren, den Rest hat er selbst miterlebt. Ein Jahr vergeht, dann taucht Max Böhm in leibhaftiger Gestalt in Bangui wieder auf. Er sagt , der Helikopter eines kongolesischen Forstbetriebs habe ihn nach Brazzaville gebracht, danach sei er per Flugzeug in die Schweiz zurückgekehrt und habe durch ein Wunder überlebt, die hervorragende Versorgung in einer Genfer Klinik habe ihn wiederhergestellt. Er ist nur noch ein Schatten seiner selbst und spricht oft von seiner Frau. Mittlerweile ist es Oktober 1978. Max Böhm reist kurz danach wieder ab. Er kehrt nie wieder nach Zentralafrika zurück. Seine Stelle als Minenaufseher übernimmt ein Tscheche, ein ehemaliger Söldner namens Otto Kiefer.
Das ist die ganze Geschichte. Das Gespräch mit Guillard klärt uns zwar über einige Punkte auf, verstärkt aber andererseits die Schattenregionen. So verliert sich nach dem Tod von Irene Böhm jede Spur des Sohnes. Das Rätsel um die Herztransplantation liegt nach wie vor völlig im dunkeln, mit Ausnahme allenfalls des Zeitpunkts: die Operation wurde höchstwahrscheinlich im Herbst 1977 durchgeführt. Aber Böhms angebliche Rekonvaleszenz in Genf ist eine Lüge: in keinem Klinikregister der letzten zwanzig Jahre taucht der Name Max Böhm auf.
Bleibt noch die Spur der Diamanten. Ich bin sicher, daß Böhm sich sein Vermögen mit Edelsteinen geschaffen hat. Und ich bedaure sehr, daß Ihre
Weitere Kostenlose Bücher