Der Flug der Stoerche
Anwesenheit in Israel zeigte deutlich, daß meine Feinde längst begriffen hatten, welcher Route ich folgte - der Fluglinie der Vögel. Ich beschloß also, diese simple Logik zu durchkreuzen und mich an die Störche aus dem Westen zu halten. Der Richtungswechsel brachte mir zweierlei Vorteile ein: einerseits würde ich meine Angreifer wenigstens für eine gewisse Zeit abhängen; andererseits würden mich die Störche aus dem Westen, die inzwischen wohl schon bis Zentralafrika vorgedrungen waren, geradewegs zu den Diamantenhändlern führen.
Gegen sechzehn Uhr war ich am Flughafen Ben-Gurion, der nahezu menschenleer war. Am Abend ging eine Maschine nach Paris. Ich versorgte mich mit genügend Kleingeld und machte mich auf die Suche nach einer Telefonzelle.
Ich rief zuerst meinen Anrufbeantworter an. Dumaz hatte mehrmals telefoniert. Er war beunruhigt und sprach von seiner Absicht, eine internationale Suchmeldung aufzugeben. Er hatte freilich Grund zur Sorge: eine Woche zuvor hatte ich ihm versprochen, ihn gleich am nächsten Tag wieder anzurufen, aber mich nie mehr gemeldet. An seinen Nachrichten konnte ich den Fortgang seiner Ermittlungen ablesen: er sprach von wesentlichen Entdeckungen, die er in Antwerpen gemacht habe. Wahrscheinlich war er in den Diamantenbörsen auf Max Böhms Fährte gestoßen.
Auch Wagner hatte mehrmals angerufen, leicht irritiert durch mein Schweigen. Er folge präzise der Route der Störche, sagte er, und habe mir per Fax eine Zusammenfassung nach Hause geschickt.
Und schließlich war noch Nelly Braeslers Stimme auf dem Band.
Ich rief Dumaz unter seiner persönlichen Durchwahl an. Nach achtmaligem Läuten meldete er sich und stieß einen Laut der Überraschung aus, als er meine Stimme vernahm.
»Louis! Wo sind Sie denn? Ich hielt Sie schon für tot.« »Ich war auch knapp davor. Ich habe in einem Palästinenserlager Zuflucht gesucht.«
»In einem Palästinenserlager!«
»Das erzähle ich Ihnen alles später, in Paris. Ich komme heute abend nach Hause.«
»Stellen Sie die Ermittlungen ein?«
»Im Gegenteil, ich hab’ vor, mich noch viel tiefer hineinzustürzen!«
»Was haben Sie herausgefunden?«
»Eine Menge.«
»Zum Beispiel?«
»Am Telefon kann ich Ihnen nichts sagen. Warten Sie meinen Anruf heute abend ab und schicken Sie mir dann gleich ein Fax. Geht das?«
»Ja, ich .«
»Dann bis heute abend.«
Ich legte auf und rief Wagner an, der mir bestätigte, daß die Störche aus dem Osten unterwegs zum Sudan seien - die meisten hätten die Überquerung des Suezkanals schon hinter sich. Ich fragte ihn nach den Störchen aus dem Westen und behauptete, ich wolle nun auch deren Route beobachten, wobei ich irgendwelche Gründe erfand - vor allem hätte ich den Wunsch, sie in der afrikanischen Savanne zu erwischen, um dort ihr Verhalten und ihre Ernährung beobachten zu können. Ulrich rief seine Daten ab und gab mir die Informationen weiter. Die Vögel, erfuhr ich, durchquerten derzeit die Sahara. Manche seien bereits auf dem Weg nach Mali und zum Nigerdelta, andere nach Nigeria, Senegal und Zentralafrika. Ich bat Wagner, mir die Satellitenkarte und die Liste der exakten Standortbestimmungen per Fax zu schicken.
Dann war es Zeit, mein Gepäck aufzugeben - die Glock 21 hatte ich sorgfältig zerlegt und die beiden Metallteile, Lauf und Verschlußstück, in einer Art Miniatur-Werkzeugkiste verborgen, die Christian mir geschenkt hatte. Dafür hatte ich sämtliche Patronen zurücklassen müssen. Am Abfertigungsschalter erwartete mich ein Mann vom israelischen Fremdenverkehrsamt. Überaus zuvorkommend machte er mich darauf aufmerksam, daß er mir seit meinem Aufbruch aus Balatakamp gefolgt sei, und bat mich, ihn zu begleiten. Ich war höchst angenehm überrascht, als ich samt meinem Gepäck durch den Zoll und die Paßkontrolle geschleust wurde, ohne daß irgend jemand Anstalten traf, mich zu durchsuchen oder zu verhören. »Wir haben den Wunsch«, erklärte mein Begleiter, »Ihnen die üblichen Schikanen der israelischen Einwanderungsvorschriften zu ersparen.« Noch einmal versicherte er mir, wie sehr er den >Unfall< in Balatakamp bedaure, und wünschte mir gute Reise. Als ich im Wartesaal saß, verwünschte ich mich innerlich, daß ich die Munition nicht mitgenommen hatte.
Um neunzehn Uhr dreißig hoben wir ab. Im Flugzeug schlug ich das Buch auf, das Christian mir mitgegeben hatte: Wege der Hoffnung hieß es; Pierre Doisneau erzählte darin seine Lebensgeschichte. Ein
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