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Der Fluss

Der Fluss

Titel: Der Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Paulsen
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Hefte, mit vorgezeichneten Linien und einer Drahtspirale am Rücken, und jedes trug eine Nummer.
    Er nahm das erste und schlug es auf.
    »Heute angekommen« , las er. »Brian hat verlangt, dass wir die ganze Ausrüstung im Flugzeug lassen, weil sie das Experiment sinnlos machen würde.«
    O ja, dachte Brian, das habe ich gesagt. Lieber Gott, ich habe meinen Kopf durchgesetzt und verlangt, dass wir die Ausrüstung an Bord des Flugzeugs lassen. Also bin ich Schuld an dieser Situation, nicht wahr? Wenn wir nämlich die Ausrüstung hätten – ein Zelt, Proviant für Wochen und sogar ein Gewehr – , dann sähe die Sache ganz anders aus.
    »Ich bewundere Brians Grundsätze …« Damit endeten Dereks Aufzeichnungen vom ersten Tag.
    Brian legte das Heft beiseite. Tatsächlich, bewunderst du mich? Diesen Jungen, der uns das alles eingebrockt hat, weil er auf die ganze Ausrüstung verzichtete?
    Er schämte sich, in fremden Tagebüchern zu schnüf feln, und so beschloss er, nicht weiterzulesen. Schon wollte er die Mappe zuklappen, als er ein Seitenfach ent deckte, mit Akkordeonfalten in den Deckel der Mappe eingefügt.
    Da war doch etwas in dem Fach? Brian zog ein zusam mengefaltetes Papier hervor. Als er es aufklappte, sah er, dass es die Landkarte war. Die Karte, die sie zu Hause im Wohnzimmer gemeinsam studiert hatten. Er sah den See, den Derek mit Filzschreiber eingekreist hatte, um Brians Mutter zu zeigen, wo sie sich aufhalten würden. Damit sie sich keine Sorgen machte.
    Derek hatte zwei Exemplare der Landkarte mitge bracht, und eines davon hatte er Brians Mutter überlassen. »Damit Sie immer wissen, wo wir sind.«
    Brian erinnerte sich, wie froh seine Mutter gelächelt hatte; alle ihre Fragen beantwortet, alle ihre Zweifel ver schwunden.
    Und jetzt so etwas.
    Die andere Landkarte hatte Derek offenbar an Land geschmuggelt, als Brian seinen Kopf durchsetzte und verlangte, die gesamte Ausrüstung mit dem Flugzeug zu rückzuschicken.
    Glücklich und beinah dankbar faltete Brian die Land karte auseinander. Ob sie helfen konnte? Dann aber schüttelte er den Kopf und faltete sie wieder zusammen. Welchen Unterschied machte es, ob man wusste, wo man sich befand?
    Noch einmal fiel sein Blick auf den See, und er sah ihn inmitten der weiten, grünen Ebene. Er sah die vielen kleinen Seen in der Umgebung. Und er sah – den Fluss.

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    Der Fluss war ihm damals schon aufgefallen, als sie bei ihm zu Hause im Wohnzimmer saßen und die Landkarte studierten. Auch am ersten Tag, als das Flugzeug sie auf dem See absetzte, hatte er ihn gesehen. Doch in der Weite des Landes, mit den endlosen Wäldern, die auf der Karte bezeichnet waren, erschien der Fluss so klein. Er hatte ihn nicht beachtet.
    Und jetzt sah er den Fluss – auf der Karte. Am südöst lichen Ufer verließ er den See und schlängelte sich weiter nach Südosten, durch grün schraffierte Ebenen und klei nere Seen, bis er sich am Rand der Landkarte verlor.
    Damals war ihm nur der Name des Flusses aufgefallen, weil er so komisch klang: Necktie River. »Wie seltsam«, hatte seine Mutter gesagt.
    Und Derek hatte gelacht. »Ja, manche Seen dort haben sonderbare Namen, zum Beispiel Eunice oder Bootsock. Es sind so viele, dass die ersten Kartographen wahr scheinlich die Namen erfunden haben. Vielleicht trug der Mann, der diese Landkarte zeichnete, eine Krawatte, und so fiel ihm nichts anderes ein als Krawatten-Fluss. Andere Gewässer in dieser Gegend haben überhaupt kei nen Namen, sondern nur eine Nummer.«
    Der Necktie River floss nach Südosten, auf der Karte nach unten, und Brian verfolgte seinen Lauf mit den Augen.
    Die Karte war in Planquadrate unterteilt. Jeder Aus schnitt bedeutete ein Quadrat von fünf Kilometern. Die blaue Linie des Flusslaufs zog sich in weiten Biegungen übers Papier, an manchen Stellen beschrieb sie fast einen Kreis durch ein und dasselbe Planquadrat. An anderen Stellen aber verlief sie ziemlich gerade, und Brian folgte ihr mit dem Finger durch kleinere Seen und Sümpfe, die sich hell aus dem dunkleren Grün der dichten Wälder abhoben.
    So ging es weiter bis zum Rand der Karte, wo sie gefal tet war. Brian klappte den nächsten Abschnitt auf und breitete ihn in der Sonne aus. Er wusste nicht, warum der Fluss ihn mit aller Macht anzog.
    Dann aber, irgendwo in der Mitte dieses zweiten Kar tenblatts, sah er es. Der Fluss war unterwegs angeschwol len, war breiter geworden, so dass er eine dickere blaue Linie quer durch die Karte zog. Und dort, wo er in

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