Der Fluss der Erinnerung: Roman (German Edition)
auch nicht geht ‹ . Ich hoffte, dass sie ihre trotzige Haltung aufgeben würde, wenn Sie uns zur Kapelle begleiten.«
Charmaine konnte förmlich sehen, wie ihm alle möglichen Entgegnungen durch den Kopf schossen. Doch als er endlich antwortete, verschlug es ihr die Sprache.
»Lassen Sie Yvette doch einfach bei mir zu Hause. Die Gläubigen sollen sich nach dem Ritual der Messe verzehren, oder nicht?« Der Sarkasmus war nicht zu überhören. »Aus welchem Grund sollten wir Yvette also zwingen, wenn Father Benitos Predigten sie ohnehin nicht begeistern?«
Sie sprechen von der Seele eines Kindes, John! Eine Kinderseele, die verloren ist, wenn sie nicht an den heiligen Zeremonien teilnimmt, die Sie ins Lächerliche ziehen. Ich fasse es nicht, dass Sie einem Kind eine so schwerwiegende Entscheidung überlassen wollen!«
Trotz ihres neu entflammten Zorns blieb er ruhig. »Welchen Bedarf hätte denn eine unschuldige Achtjährige an diesem Heilsversprechen? Für eine unvoreingenommene Antwort ist Ihre Meinung zu festgefahren, Miss Ryan. Welche Sünden könnte dieses Mädchen in seinem kleinen Leben bereits auf sich geladen haben, die sie für alle Ewigkeiten von Gottes Barmherzigkeit ausschließen? Welche Moral könnte Father Benito sie lehren, die ihr die eigene Familie nicht beibringen kann?«
»Ich bin sprachlos!«, empörte sich Charmaine. »Wenn ihre Mutter noch am Leben wäre, könnte ich Ihnen vielleicht zustimmen. Aber selbst Mistress Colette hat ihr christliches Leben nicht allein auf gute Taten beschränkt, sondern ihre Kinder Sonntag für Sonntag in die Kirche geführt. Verstehen Sie mich? Es wäre Colettes Wunsch gewesen.«
»Bei Gott, Frau!« Aufgebracht schlug John mit der Faust auf den Tisch. »Was bringt Sie auf den Gedanken, dass ich auch nur einen Penny für Mistress Colettes Wünsche geben könnte?«
»Weil …«, stammelte Charmaine, »weil Mistress Colette eine liebenswerte, feinfühlige Person war, die ihren Glaube n gelebt hat und auch ihre Kinder darin geborgen wissen wollte.« Sie redete und redete, obgleich sie am liebsten flüchten wollte. »Colette war die Frau Ihres Vaters und die Mutter Ihrer Geschwister. Also sollten Sie ihre Wünsche respektieren!«
»Miss Ryan«, unterbrach er sie heftig, »ich fürchte, Mistress Colette war völlig anders als die Frau, die Sie zeichnen, und meine Gefühle ihr gegenüber waren keineswegs edel. Sie hätte nie Mrs. Frederic Duvoisin werden sollen. So gesehen habe ich sie in dieser Rolle noch weniger g eschätzt als die dritte Mrs. Duvoisin. Also lassen Sie die Gespenster ruhen. So früh am Morgen kann ich solch frommes Gerede beim besten Willen nicht verkraften!«
Ohne Gedanken an einen würdigen Abgang zu verschwenden, stürzte Charmaine wortlos davon.
Colette, liebe süße Colette! Wie konnte dieser Mensch sie nur so verunglimpfen? Sie konnte es nicht verstehen und musste an Pauls Worte denken: Obwohl Colette immer lieb und freundlich zu ihm war, hat sie durch ihn leiden müssen . So war es – das war die Wahrheit! Wie hatte sie nur glauben können, dass dieser Mann irgendwie anders sein könnte als der erste Eindruck, den sie gewonnen hatte? Welche Närrin sie doch war! Paul hatte sie gewarnt, und doch hatte sie seinen Rat in den Wind geschlagen und John gestattet, sich mit den Kindern anzufreunden. Kein Wunder, dass Paul besorgt war. John war ein schlechter Mensch, und zum Glück hatte sie ihn durchschaut, bevor es zu spät war.
Als Charmaine ins Kinderzimmer zurückkam, wirkte Yvette verunsichert. »Haben Sie mit Papa gesprochen?«
»Nein, aber mit deinem Bruder.«
»Mit Johnny?«
»Ich dachte, dass er dich überzeugen könnte, aber er hat sich geweigert. Er hat sich sogar über den Glauben deiner Mutter lustig gemacht. Wirklich schade, dass du mehr auf ihn als auf deine gütige Mutter hören willst.«
Jeannette rutschte vom Bett herunter. »Tut Yvette Mama weh, wenn sie nicht mit zur Messe geht?«
»Ich fürchte, ja«, flüsterte Charmaine.
»Habe ich es dir nicht gesagt, Yvette? Du darfst Mama nicht wehtun! Nur wenn sie sich über uns freut, kann sie Frieden finden.«
Rose kam herein. »Was ist los?«, fragte sie angesichts der betretenen Gesichter. »Selbst bei einer Beerdigung sind die Leute fröhlicher.«
Das war zu viel. Jeannette brach in Tränen aus, und Yvettes Miene verfinsterte sich zusehends.
Rose schnalzte mit der Zunge. »Was ist denn nur los, mein Kind? Weine doch nicht!«
»Yvette will nicht zur Messe gehen«,
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