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Der Fluss der Erinnerung: Roman (German Edition)

Der Fluss der Erinnerung: Roman (German Edition)

Titel: Der Fluss der Erinnerung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: DeVa Gantt
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Warum war es so einfach, John davon zu erzählen? Und warum erleichterte seine Reaktion ihre Last?
    »Wie heißt Ihr Vater?«
    »Wie er heißt? Warum fragen Sie?«
    John zuckte die Schultern. »Vermutlich aus Neugier.«
    »John Ryan.«
    Ein leises Grinsen spielte um seine Lippen. »John, hm?«
    Aus Furcht, dass er nun auch noch ihre Seele ergründen könnte, lenkte sie ab. »Ihr Vater verachtet Sie doch auch, nicht wahr?«
    Er wurde ernst. »Sie waren beim Dinner zugegen, Charmaine. Was muss ich da noch sagen? Das ist auch einer der Gründe, warum Paul und ich uns nicht verstehen.«
    Langsam dämmerte es Charmaine. »Und es ist der Grund dafür, dass die Geschäfte der Familie Sie so wenig interessieren. Ohne die Liebe und Anerkennung Ihres Vaters verspüren Sie wenig Lust, Pauls Projekte zu unterstützen.« Als er nicht reagierte, fuhr sie fort. »Paul besitzt die Liebe seines Vaters, aber er sehnt sich nach Legitimität. Sie dagegen möchten die Liebe Ihres Vaters erlangen, doch Ihre legitime Geburt hat keine Bedeutung für Sie.«
    John war beeindruckt, wie klar sie die Dinge sah. »Paul will alles haben, aber das gelingt ihm nicht! Wie Sie erlebt haben, lässt Vater ihn zuweilen genauso gern zappeln.«
    »Zappeln?«
    »Das ist schwer zu verstehen, Charmaine. Frederic Duvoisin ist ein Meister der Manipulation. Ein begeisterter Puppenspieler.«
    Seine Einschätzung stimmte sie traurig. »Ich habe Ihren Vater eigentlich als sehr direkten Menschen kennengelernt.«
    »Das beweist nur, wie naiv Sie sind«, spottete John mit säuerlicher Miene. Charmaine war verärgert, aber John ging es genauso. »Ich will uns den Tag nicht mit Gerede über meinen Vater verderben. Wir sollten unseren Pakt lieber auf Paul beschränken. Möchten Sie irgendetwas über ihn wissen?«
    John hatte recht. Paul war viel interessanter, und doch fürchtete sie, dass John ihr unliebsame Tatsachen berichten könnte. Eine Frage jedoch schien unverfänglich zu sein. »Wer von Ihnen ist eigentlich der Ältere? Sie oder Paul?«
    John zog die Brauen in die Höhe und sah sich grinsend nach allen Seiten um. Dann flüsterte er verstohlen, als ob die Wände Ohren hätten. »Das, my charm , ist das große Geheimnis der Familie! Das weiß nämlich keiner genau. Manche sagen, dass das Baby – also Paul – mitten in der Nacht vor meiner Geburt zu meinem Vater gebracht wurde. Woher, das ist unbekannt.« Er richtete sich auf und sprach ganz normal weiter. »Ich glaube das allerdings nicht. Ich habe mich oft gefragt, wie meine Mutter wohl auf Pauls Ankunft reagiert hat. Mir erscheint es logischer, dass Paul erst nach ihrem Tod geboren wurde. So würde auch der Lebenswandel meines Vaters nicht ins Gewicht fallen. Egal. Er hat sich die Hörner jedenfalls gründlich abgestoßen, wenn ich das so sagen darf.«
    »Und Pauls Mutter?«
    John zuckte die Schultern. »Nach Auskunft meines Vaters ist sie tot. Aber er hat nie bezweifelt, dass Paul sein Sohn ist, auch wenn er ein Bastard ist.«
    Die harten Worte ließen Charmaine zusammenzucken.
    »Seien Sie nicht so empfindlich, Charmaine. Paul hat die Tatsache akzeptiert. Sie müssen ihn nicht bedauern. Viele würden liebend gern mit ihm tauschen und sich einen Bastard nennen lassen, wenn ihnen das einen Teil des Duvoisin-Vermögens eintrüge. George würde das zum Beispiel sofort machen.«
    Pierre kam angerannt. »Diesmal will ich ganz hoch fliegen!« Er zerrte John an der Hand, bis er endlich aufstand.
    Charmaine erhob sich ebenfalls und schlenderte über die Wiese zu den Mädchen hinüber, die gerade den zwei Monate alten Sultan streichelten.
    »Dürfen wir die Ponys aus dem Stall holen?«, riefen sie schon von weitem.
    Donnerstag, 5. Oktober 1837
     
    »Ich bin nicht damit einverstanden«, protestierte Charmaine ein weiteres Mal, während sie im schaukelnden Wagen in die Stadt fuhren. Die Zwillinge hatten darauf bestanden, oben auf der Bank neben dem Kutscher sitzen zu dürfen, während Pierre und die Gouvernante zusammen mit John im gepolsterten Inneren Platz genommen hatten.
    »Dafür gibt es wirklich keinen Grund, Charmaine«, versicherte John noch einmal.
    »Warum ist ein Tag wie gestern nicht schön genug? Der Ausritt war herrlich, das Picknick eine Freude, selbst der Regen konnte uns den Ausflug nicht verderben und …«
    »Yvette wäre niemals mit einer bloßen Wiederholung zufrieden«, unterbrach er sie. »Sie ist nun einmal keine Jeannette. Die einzige Ähnlichkeit der Mädchen beschränkt sich auf ihr

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