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Der Fluß

Der Fluß

Titel: Der Fluß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ketil Bjørnstad
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wachen, lebhaften Augen an. »Mein Mann ist tot, wie du sicher weißt. Und erst, als er tot war, wagte ich es, mir die Frage zu stellen: War er eigentlich der Mann, mit dem ich das ganze Leben verheiratet sein wollte? Ich bereute nichts. Ich hatte ihm viel zu verdanken. Aber mir fielen auch andere Menschen ein, denen ich in meinem Leben begegnet bin, mit denen ich ihn sogar betrogen hatte. Und ich dachte: Warum haben wir uns so früh aneinander gebunden? Natürlich ein müßiger Gedanke. Hätten wir es nicht getan, wären weder Marianne noch ihre Schwester auf der Welt.«
    »Marianne hat eine Schwester? Das wußte ich nicht.«
    »Nicht?« sagt Ida Marie Liljerot erstaunt. »Sie ist Landärztin, glücklich verheiratet und lebt irgendwo weit oben in der Finnmark.«
    »Merkwürdig, daß Marianne nie davon erzählt hat«, sage ich kopfschüttelnd.
    »Aber so ist es. Sigrun ist fünf Jahre jünger als sie. Ich war vierzig Jahre, als ich sie bekam. Die beiden hatten nicht viel Kontakt miteinander. Marianne war schon immer radikal in ihren Ansichten, Sigrun nicht.«
    »Weiß sie, was mit Marianne passiert ist?«
    »Natürlich weiß sie das. Wir telefonieren regelmäßig miteinander. Was da mit Marianne passierte, ist nichts Neues für uns. Du weißt sicher, es war nicht das erstemal.«
    »Nein«, lüge ich. »Marianne hat mir nie etwas erzählt.«
    Ida Maria Liljerot runzelt die Stirn. »Na ja«, sagt sie, »dann wollte sie dich schonen. Aber sie hätte darüber reden sollen. Sie ist Ärztin. Sie hat eine Verantwortung. Sie müßte es besser wissen.«
    »Und warum erzählst du mir das alles?« sage ich.
    »Ich möchte nur, daß du dir die Sache genau überlegst und auf dein Herz hörst. Und ich bin ganz ehrlich zu dir. Ich sage das nicht, weil ich auf deiner Seite stehe. Ich kenne dich nicht. Ich stehe auf Mariannes Seite. Ich weiß, daß sie in der Zeit, die jetzt kommt, Verläßlichkeit und Sicherheit braucht. Sonst kann sie ebensogut allein leben. Als ich von dir hörte und erfuhr, daß siebzehn Jahre zwischen euch sind, dachte ich, nun ja, so etwas kommt vor. Und kann durchaus funktionieren. Jetzt hat mir Marianne erzählt, wie sehr sie der Gedanke, daß du so jung bist, quält und daß du etwas anderes verdientest als eine Frau mit einer so komplizierten Vorgeschichte. Und vielleicht hat sie recht? Deshalb bitte ich dich, auf dein Herz zu hören. Hat sie dort ihren Platz? Marianne Liljerot? Marianne Skoog? Paßt sie hinein in die Welt, die du dir jetzt aufbauen wirst? Ich habe einiges über dich gehört. Ich weiß, daß du debütierst, daß du bei derselben Hexe studierst wie Anja. Was man von der wollen kann, begreife ich nicht. Aber so ist das Leben. Wir treffen Menschen, binden uns an sie, liefern uns ihnen aus, weil wir befürchten, sonst etwas aufzugeben. Aber vielleicht geben wir dann gerade etwas auf, etwas anderes. Etwas möglicherweise Wichtigeres. Ich bezweifle ein wenig, ob die Allianz zwischen Marianne und Bror so klug war. Bror schlug sich zum Teil mit den gleichen Problemen herum wieMarianne. Das hat sich mit aller Deutlichkeit gezeigt, als er sich aus einem spontanen Einfall heraus das Hirn aus dem Kopf pustete. Akute geistige Umnachtung. Aber auch die Liebe kann auf infame Weise eine geistige Umnachtung sein. Ich weiß, wie gesagt, zuwenig von dir. Ich weiß nicht, wie stark oder schwach deine Gefühle sind, wie besessen du deine Karriere verfolgst. Aber als Achtzehnjähriger …«
    »Bald neunzehn.«
    »Nun, das spielt keine Rolle. Ein Neunzehnjähriger, der demnächst debütieren soll, mit einer derart wahnhaft ehrgeizigen deutschen Hexe als Lehrerin, die nicht das geringste Verständnis für Anja hatte, die ein offensichtlich krankes, sechzehnjähriges Mädchen mit ihren überzogenen Anforderungen und Erwartungen in den Tod schickte. Ein solcher Junge hat ganz andere Dinge im Kopf, als sich um eine depressive Witwe zu kümmern, die überdies ihr einziges Kind verloren hat und mühsam versucht, wieder auf die Beine zu kommen. Aus medizinischer Sicht hast du dich in eine Frau verliebt, die einen bedeutenden Fürsorgebedarf hat. Und deshalb bin ich hergekommen, ebenfalls eine alte Hexe, die einfach zum Telefon greift und sich in ein junges und unverdorbenes und hoffnungsvolles Leben einmischt. Ich habe es getan und vielleicht komme ich wieder. Weil ich Mariannes Mutter bin. Weil ich nicht will, daß es mit ihr so endet wie mit Bror. Weil ich den Gedanken nicht ertrage, sie könnte es einmal schaffen,

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